Samstag, 31. Dezember 2016

Abschluss

Ich atme tief ein, Nachtluft schneidet mir eisig in die Lunge, verteilt sich durch meine Adern im gesamten Körper. Für eine Sekunde schließe ich die Augen, genieße die Kälte.
Raureif glitzert über die Verbundsteine des Parkplatzes, schwach bewegen sich Flaggen, werfen Schatten neben mein Auto. In meiner Hand glimmt die Zigarette, wärmt Eiszapfenfinger während das Nikotin mich irgendwie schwindlig macht.
Es ist so still um mich herum, fast kann ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören - beruhigend.
Über mir Abermillionen Sterne, die Milchstraße, die vielleicht schon vor so vielen Jahrzehnten erloschen ist. Es funkelt und leuchtet, ich fühle mich klein. Winzig und kalt, halb erfroren, und doch mitten im Leben. Auf diesem Parkplatz, nachts, um kurz vor eins.
30.12.2016 lese ich auf dem Display meines Handys, als es kurz aufblinkt. Bilder ziehen durch meinen Kopf, verschwinden aber wieder von der Leinwand, lassen mich zufrieden und glücklich zurück.
Während ich nach oben schaue, in diese unendlich schöne Sternenpracht, schließe ich mit 2016 ab. Still, eiskalt, nur für mich. Keine Knaller, keine Böller, kein Sekt. Keine Feier, kein Frohes Neues Jahr. Nur ich und meine Gedanken.

Dienstag, 27. Dezember 2016

Unglück

Atemlos kam er zu sich, im Bett sitzend, seine Frau neben ihm. Sie schnarchte leise, wahrscheinlich lag sie auf dem Rücken. Mit einem Blick vergewisserte er sich, ja, Rückenlage, den Kopf nach hinten überstreckt. Eine Hand friedlich in die Bettdecke geballt, die andere irgendwo im Kopfkissen. Langsam beruhigte sich sein Atem, langsam bekam er seine Gedanken wieder unter Kontrolle. Ein Traum, mehr nicht. Ein furchtbarer Traum, der ihn aus der Bahn geworfen hatte. Er… War das Rauch, was sich schwer auf seine Lunge legte beim Einatmen? Er schnüffelte intensiver, schloss die Augen, um jede olfaktorische Schwankung wahrzunehmen. Rauch, eindeutig! Weiß und wabernd kroch er hinein in ihre Schlafzimmer, setzte sich im Läufer fest und vernebelte die Sicht zum Wandschrank. Vom Fenster fiel ein Lichthauch hinein, die Straßenlaterne schenkte der Nacht ihre LED-Kühle.
„Schatz, Liebling, wach auf!“, seine Stimme krächzte tonlos, als er sie unsanft an der Schulter wachschüttelte. „Es brennt!!!“, heiser und rau klang der Schrei, er hatte selbst keine Ahnung, woher er die Kraft nehmen konnte. „Wir müssen raus hier!“ Sein Hirn ratterte, während seine Frau sich im Bett langsam aufrichtete. Ihre Knochen taten immer so weh, jede kleine Bewegung kostete sie enorme Anstrengung. „Hm?“ Mit einem Satz war er aus dem Bett, woher kam nur all diese Energie? „Es brennt, Liebling, wir müssen aus dem Haus!“ Tränen traten in die Augen seiner Frau, ihr Mund verzog sich wie bei einem trotzigen Kind. „Warum!“ Keine Frage, sondern eine Aussage, die beinahe pampig im Rauch hängen blieb. Sie musste husten, das Beißen der Schwaden kroch in ihren Hals und von da aus in Bronchien und Lunge. Hier, zieh dir das über“, er warf ihr eine dicke Weste von sich selbst hin, mehr Zeit war nicht. Draußen dröhnte schon das Martinshorn der anrückenden Feuerwehr, Blaulichtschimmer überzog die Dächer der Nachbarschaft bereits. Ruhig, bleib ruhig, beschwichtigte er seine aufkeimende Panik, alles wird gut. Sein Blick fuhr gehetzt über Wandschrank und Rollstuhl, wie sollten sie das nur schaffen? Wahrscheinlich war in der Wohnung im Erdgeschoss, bei diesen Yuppies mit ihren ewig qualmenden Schundschloten eine Kippe auf einen Teppich gefallen. Oder sie waren eingeschlafen. Oder.. Keine Zeit, andere zu verurteilen, er musste handeln, ihr Leben hing davon ab!
Mühsam hatte seine Frau sich inzwischen auf die Bettkante gehievt und ließ ihr Bein auf den Boden hängen. Der Stumpf berührte die Matratze und reichte gerade ein kleines Stück darüber, die Schlafanzugshose bedeckte ihn jedoch. „Und jetzt?“ Sie sah ihn an, ihren Mann, der eigentlich eher ein Herr war. Ein feiner Herr, wie sie schon damals gedacht hatte, als er ihr in dem kleinen Fotogeschäft des erste Mal begegnet war. Ihre Augen fixierten ihn, sie suchte seinen Blick, suchte Antworten auf ihre Frage. Eingefroren in blaues Gletschereis schien der Augenblick, nur der Rauch quoll inzwischen dicker und schwärzer unter der Türspalte durch. Wenige Minuten waren erst vergangen, zwischen dem abrupten Aufwachen des Mannes und der Frage der Frau, die ohne ihren Rollstuhl praktisch verloren war. Steif und unbeweglich, mit trüben Augen und müde. „Wir müssen raus!“, fauchte er fast. Sie lachte, kalt und ohne eine Spur Humor in der Stimme. „Und wie?“ War es Verzweiflung, die sein Gesicht dunkler werden ließ oder benebelte der Rauch inzwischen auch ihre Wahrnehmung? „Ich hol‘ dich!“ Ohne ihr Protestieren abzuwarten, war er um die Bettkante herum und versuchte, ihren Körper in seine Arme zu wuchten. „Wir schaffen das, ja?“
Vor ihrer Schlafzimmertür polterte es, ehe ein Feuerwehrmann in den Raum gestolpert kam. Mit Atemschutzmaske und Taschenlampe rief er raus, ohne sich umzudrehen: „Zwei Personen, lebend im Schlafzimmer. Wir brauchen eine Trage!“

Samstag, 24. Dezember 2016

Antagonist

Die Fahrstuhltür knackt hinter ihm, sollte sie nicht eigentlich ein Schiebegeräusch von sich geben? Er runzelte die Stirn, vergaß aber beinahe im nächsten Augenblick das Knacken. Zu welcher Etage musste er? Er zog die Brille auf der Nase ein Stückchen tiefer und schielte über den Rand auf die Knöpfe der Bedientafel. „Dr. Maas, Allgemeinmediziner, 3. Etage“ Zufrieden drückte er den Goldknopf und richtete die Brille auf dem Nasenrücken wieder gerade. Leise surrte die Mechanik des Fahrstuhls, er konnte einen Ruck spüren, als die Kabine sich langsam nach oben in Bewegung setzte. Er stand alleine auf dem Kachelboden, dessen Belag längst bessere Zeiten gesehen hatte. Die gegenüberliegende Wand war verspiegelt, hatte Schrammen und Schlieren und dringend einen Putzlappen nötig. Irgendwie musste er schmunzeln, wie er sich so dastehen sah. Alt und faltig, die Schultern jedoch stramm nach hinten, den Kopf aufrecht nach oben. Wie es sich gehörte, dachte und sein Schmunzeln wurde zu einem Grinsen. Inzwischen war die Fahrstuhlkabine im ersten Stock angekommen, glitt jedoch an ihm vorbei. Wieder war ein Knacken zu hören, das vermutlich immer noch nicht zu der fahrstuhlüblichen Geräuschkulisse gehörte. Sein Grinsen verschwand und durch die schlechte Beleuchtung sah er plötzlich nur noch alt und grau aus.
Ohrenbetäubend und unsanft kam der Fahrstuhl mit einem Mal zum Stehen, auf der Stockwerkanzeige blinkte ein kleiner roter Telefonhörer und die Notbeleuchtung schaltete sich ein. Okay, ruhig bleiben!, schoss ihm durch den Kopf, nimm den Hörer vom Telefon ab und rufe um Hilfe! Vorsichtig tapste er einen Schritt nach vorne und griff nach dem Nottelefon, das ihm mit einem Piepen verriet, gleich weitergeleitet zu werden.
Ganz nah stand er nun an der verspiegelten Fahrstuhlwand und während er dem Piepsen im Telefon lauschte, betrachtete er sich. Eingefallen und kränklich waren seine Wangen, sie setzten sich scharf vom Jochbein ab, warfen einen messerscharfen Schatten. Frisch rasiert hatte er sich heute Morgen, eine winzige Schnittwunde hielt noch ein Blutströpfchen fest, er wischte es langsam ab. Zerschlissen sah er sich selbst in die Augen, sie wirkten so müde und blass, so wässrig, dass er es mit der Angst bekam. Bin ich das? Bin das ich, kann das wirklich sein? Ich kenne den Mann nicht, ich weiß nicht, wer das da im Spiegel ist. Dieser Mann sieht aus wie, sieht aus wie ein Schatten von mir, von dem Mensch, der ich einmal war. Wann habe ich angefangen, dieser neue Mann zu sein? Wann bin ich so alt geworden? Zittrig führte er seinen Zeigefinger an seine Lippen. Er spürte, wie spröde sie waren, wie aufgesprungen die einst zarte Haut sich anfühlte unter seiner Berührung. Wohin ist ihr Rot gegangen, wann ist das Rot meiner Lippen ausgelaufen? Sein Herzschlag beschleunigte sich, seine Atmung ging schnell und rasselnd. „Hallo, hört mich jemand?“, er brüllte die Worte beinahe in den Hörer seiner Hand. Er wollte raus aus der Kabine, hinaus an die frische Luft, wo er atmen konnte, frischen Sauerstoff. Ganz sicher würden sich seine Lippen an der frischen Luft wieder mit ihrem alten Rot füllen, seine Augen wieder glänzen und ihre Wässrigkeit verlieren. Ganz sicher… Er keuchte, rang nach Atem. Der Mann in der Spiegelwand schien hämisch und eiskalt zu grinsen. „Hallo Alterchen, mein Name ist Senesco, ich habe gehört, wir arbeiten zusammen im erfolgreichen Unternehmen Vita Bona… Lasset die Spiele beginnen!“

Dienstag, 13. Dezember 2016

Yes, Virginia, there is a Santa Claus.

"Yes, Virginia, there is a Santa Claus. He exists as certainly as love and generosity and devotion exist, and you know that they abound and give to your life its highest beauty and joy."

Ich war noch klein, als meine Urgroßmutter die Worte, die Francis P. Church am 21. September 1897 in der New York Sun auf ihre Reise durch Zeit und Generationen schickte, vorlas. Auf ihrem Schoß sitzend, an der Tischdecke zerrend und mit den Beinen baumelnd lauschte ich ihrer Stimme.
Irgendwie lag Traurigkeit in ihr, hörte ich ein Zittern heraus? Mein kindliches Ich, vielleicht sechs Jahre alt, verscheuchte den Gedanken daran und ich vergas für lange Zeit den bewegenden Text.

Heute, über 119 Jahre nach Veröffentlichung des wohl berühmtesten  Leitartikels aller Zeiten, erinnerte ich mich wieder daran.
Ich sehe mich in ihrer kleinen Wohnung, Zeitungen auf dem Tisch, Kreuzworträtsel, halb gelöst, halb vollgekritzelt mit meiner Geheimsprache, die nur und ausschließlich ich verstanden hab. Es ist warm im Raum, draußen wird es langsam dunkel und die Heizung knistert gemütlich. Beinahe ist Winter, gerade noch so Herbst.
Uromas Kaffee steht in ihrer alten Tasse auf dem Tisch, ein paar Tropfen sind wohl auf den Zeitungen gelandet, als ich mich mit Karacho zur Begrüßung in ihre Arme gestürzt habe. Sie erzählt mir von früher, wie immer, wenn ich sie danach frage. All ihre Geschichten und Erfahrungen verpackt sie in wundersame Märchen, voller Gefühl und Wahrheit. Ich hänge an ihren Lippen, kann kaum genug bekommen von ihren Erinnerungen. Manchmal wird ihr Blick so traurig, dass ich sie ein wenig in den Arm nehmen muss, um ihr vielleicht ein bisschen Schmerz zu nehmen. Ich denke nicht darüber nach, mein kindliches Ich schenkt ihr Unbeschwertheit und Trost.
Ganz genau kann ich mich daran erinnern, wie sie mich dann anlächelte, eine Träne aus den Augenwinkeln wegblinzelte und mich mit den vielen Lachfalten ansah, die ich so sehr an ihr liebte.

Sie greift mit einem verschmitzten Lachen nach einer Zeitung, gerade nach der, auf der sich die Kaffeepfütze gesammelt hat.
"Ich lese dir eine Geschichte aus der Zeitung vor", kündigt sie mir an und zieht mich auf ihren Schoß, obwohl ich eigentlich schon zu groß bin, um dort noch bequem sitzen zu können.

"Virginia, you're little friends are wrong. They have been affected by the skepticism of a skeptical age." Natürlich liest sie mir den deutschen Text vor, die Übersetzung, die an diesem Morgen in der Tageszeitung abgedruckt war.  Doch wenn ich mich jetzt daran zurückerinnere, stelle ich mir gerne vor, wie sie mir den englischen Text vorgetragen hätte.

"There would be no childlike faith then, no poetry, no romance to make tolerable this existence."

Ihre Stimme versagt ein kleines Bisschen, wird brüchig und ich weiß, ich sehe sie an.

"Did you ever see fairies dancing on the lawn? Of course not, that's no proof, that they are not there."

Sie atmet ein und aus, ganz leise bin ich, warte darauf, wie es weitergeht. Und sehe im Geist die achtjährige Virginia vor mir, die  ungeduldig auf eine Antwort in der Zeitung wartet. Eine Antwort, die für sie die größte, vielleicht allergrößte Bedeutung in ihrem ganzen Leben haben wird.

"Tell me the truth: is there a Santa Claus?"

Vielleicht habe ich kurz darüber nachgedacht, ob es einen Weihnachtsmann  geben kann, doch in meiner Welt kam zu Weihnachten das Christkind. Jenes blondhaarige Mädchen im strahlend weißen Kleidchen, das Geschenke und Süßigkeiten im Schlepptau hatte.

"How dreary would be the world if there were no Santa Claus! (...) Thank God, he lives. And lives forever. A thousand years from now, Virginia, nay, 10times 10,000 times from now, he will continue to make glad the heart of childhood."

Erst heute, 21 Jahre später, denke ich wieder an die Worte, die sie mir an diesem Nachmittag im frühen Winter vorgelesen hat, und die heute noch genauso aktuell sind, wie im Jahre 1897 in New York, als ein kleines Mädchen namens Virginia O'Hanlon  die mutigste Frage aller Zeiten gestellt hat.


(http://www.nysun.com/editorials/yes-virginia/68502/)

Montag, 12. Dezember 2016

Schwebend.

Während ich durch die Kälte laufe und der Wind mit meinen Haaren Fangen spielt, sehe ich sie an. Sie lächelt leicht, als hätte sie wundervolle Gedanken, die sie trotz der atemberaubenden Temperaturen innerlich warm halten. Das Septum in ihrer Nase sitzt schief - die schwarzen Kugeln haben sich irgendwie asymmetrisch verteilt, ein wenig muss ich kichern.
"Was?" Scheint ihr Blick zu fragen, den sie mir zuwirft, sachte schüttelt sie den Kopf und greift nach meiner Hand. "Eiszapfen...", murmelt sie beinahe empört und umschließt meine Finger mit ihren.
Mein Herz rutscht ein Stück, nur um fast im selben Moment wieder in die höchsten Höhen und noch viel weiter katapultiert zu werden. Allein ihre Berührung lässt meinen Körper summen und vibrieren und gibt mir das Gefühl, nicht mehr Herr meiner Sinne zu sein.
Ich fühle mich als würde ich durch eine Wand aus rosa Zuckerherzchen schweben, die so unendlich weich und zart sind, wenn sie meine Haut streifen. Sie schmecken süß und zuckrig und eigentlich viel zu irreal für diese Welt, die sonst irgendwie hart und kalt zu sein scheint. Oder zu sein schien? Eine Sekunde kneife ich die Augenbrauen zusammen - und erschrecke, als ich plötzlich einen Kuss auf meinen Lippen spüre.
"Du bist mein ganzes Glück!", haucht sie und während wir uns in den Armen liegen, zieht die Welt mit all ihren Geschehnissen an uns vorüber.

Freitag, 25. November 2016

Kopfhörer

Knall mich voll mit Musik,
Kopfhörer krasseste Lautstärke,
Kein Limit.
Welt aus,Gedanken an,
Im Rhythmus der Lyrics.
Halb gerappt,halb gesungen.
Irgendwie voller Melodie,
Schmerzhaft.
Ein Song im Loop,
Ertrage keinen andren,
Mein Herz schlägt
In diesem Moment
Nur einen Beat,
Wieder und
Wieder.
Kopf wippt,
Augen geschlossen.
Knall mich voll mit Musik,
Welt aus,Herz an.

Montag, 21. November 2016

Schrei

Ihr Schrei hallte durch Nacht und Straßen, obwohl der Tag gerade erst angebrochen war. Ich konnte deutlich hören, wie irgendwo eine Tür zugeschlagen wurde.
Zehn nach acht. Ich nahm einen Schluck Tee, persischer Granatapfel, Rot wie Blut, ging mir durch den Kopf. Und Schwarz wie Ebenholz, antwortete leise eine Stimme aus meinen Gedanken heraus.
Süß und herb, wie Sonnenschein im Winter, rann wohlig die Wärme meinen Hals hinunter, während einige Wohnungen weiter vielleicht die Welt am untergehen war.

Ich warf einen Blick auf die Uhranzeige des Küchenradios - viertel nach acht.  Es war ruhig  geworden nebenan, die Ruhe nach dem Sturm? Eine Sekunde überlegte ich, wann die Schreierei begonnen hatte, ich zog die Nase kraus.
Mein Teewasser hatte gerade zu kochen angefangen, als die ersten Schrillschreie ihrer Minnie-Mouse-Stimme durch den Morgen trompetet waren.
"Wie konntest du, was hast du nur getan?"
Hysterie am Morgen, gab es etwas Schöneres? Nachdem ich den Teebeutel in den Wasserbläschen meiner Tasse versenkt und mich gemütlich auf den Küchenstuhl geknautscht hatte, mümmelte ich eine Weile auf einer Scheibe Brot herum. Die Kruste war beinahe abgeknabbert, ehe das Drama im Hörspielformat live aus der Nachbarschaft weiterging.
Popcornkauend im Kinosessel  sitzend kam ich mir vor, wie ich in Flauschdecke und Pyjama geradezu auf eine Fortsetzung wartete.
Gemurmel, Genuschel, Stühle, die über den Holzboden geknarrt wurden - irgendwie passte die Geräuschkulisse zum Rest dieses Novembermorgens.
"Scheiße!"
Ich zuckte in meiner flauschigen Decken-Pyjama-Festung zusammen, Gänsehaut kroch mir über den Rücken und ich umklammerte meine Teetasse, um ein bisschen Wärme tanken zu können.
Totenstill war es im Hausflur, ob die anderen Wohnparteien auch gespannt die Luft anhielten und warteten, wie es weiterging?
Irgendwo randalierte wer, durchbrach den Meditationsähnlichen Zustand. Erst jetzt nahm ich wieder das Radio wahr, das belanglos einen Song der unendlich gleichen Schmuserapper vor sich hinsudelte.
Während ich mich noch ein wenig tiefer in die Deckenkombi kuschelte, hörte ich unbarmherzig das Dröhnen meiner Türglocke.

Sonntag, 20. November 2016

Er

"Eigentlich sind wir auch nur alle Jäger und Sammler", sagte er in die Stille hinein, die plötzlich entstanden war. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, ich nahm einen Schluck Wasser aus meiner Evian-Flasche. Nichts anmerken lassen, waren in etwa meine Gedanken, so ganz konnte ich ihnen nicht folgen.
"Wie meinst du das?"
Er sah mir ins Gesicht.
"Wir jagen Sehnsüchten hinterher, um irgendwelche Trophäen sammeln zu können. Frauen, Geld, Macht, Sex. Jäger und Sammler eben."
Die Bitterkeit seines Blicks löste etwas in mir aus, das ich nicht näher beschreiben konnte. Mitleid? Neugierde?
Er schüttelte den Kopf, als habe er die Unterhaltung mit sich selbst längst beendet.
"Ich war zu naiv, als es mir so schlecht ging. Ich glaubte den falschen Menschen zu viele schöne Worte, anstatt misstrauisch zu sein und vorsichtig."
Ich rutschte ein wenig auf meinem Stuhl umher, hatte das Gefühl auf flüssigem Feuer zu sitzen.
Wahrscheinlich sollte ich das nicht hören, ich sollte dieses Gespräch nicht führen... Mein Verstand schrie mich förmlich an, bettelte, flehte.
"Als ich mir die Knarre an die Stirn gehalten habe, hat mich nur ein winziger Funke Verstand zurückgehalten..." Seine Stimme klang wie von weit her, als stünde er in einem anderen Raum, in einem anderen Leben. Seltsam tot schienen seine Augen, jegliches Leuchten war aus ihnen gewichen.

Montag, 14. November 2016

Eiswasser-Eisluft

Ich ging heute durch die Stadt,
und es war unendlich kalt.
Vielleicht war es die erste Nacht weit unter
null Grad gewesen,
vielleicht waren aber auch schon
drei oder vier dahingezogen.
Tief in meine Jacke vergraben
blinzelte ich in die Sonnenstrahlen,
die gerade zwischen LKWs und
Häuserfronten irgendwie
staubig hervortraten.
Beinahe diesig war der Morgen,
erst vor wenigen Minuten angebrochen.
In der Hektik der Stadt,
in der Hektik des Montags ging seine
Schönheit unter.
Menschen übersahen den Zauber,
dieses ganz besondere Gefühl,
das sich manchmal über Montagmorgen
legte.
Ich atmete tief ein,
frisch füllten sich meine Lungenflügel
mit Sauerstoff.
Einer Droge gleich rann er durch
Adern, versetzte meinen Körper mit
Endorphinen, beflügelte
auf leichte und sanfte Art meine
Seele.
Eiskalt schmeckte die Luft auf meinen
Lippen;
irgendwie genoss ich ihn,
diesen Geschmack nach frischer Luft.
Nach Eisluft, in der sich kleine Kristalle fanden,
vom Wind umhergewirbelt.
"Als würde man Eiswasser trinken", dachte ich
und schluckte einen Mundvoll
Trockenheit und Kälte hinunter.
Eiswasser.... Für eine Sekunde schloss ich die Augen.
Mir war, als wäre mein Mund voll flüssiger
Kälte, die wie tausend Perlen in
Zahnfleisch und Zähne stach und mich
gleichzeitig mit ihrem
Geschmack unwiderstehlich lockte.
Eiswasser,  frisch und rein,
so klar wie Bergseen und mit dem
Duft erholsamen Regens.

Freitag, 11. November 2016

Jack The Ripper

Es ist noch unglaublich früh, niemand sollte um diese Uhrzeit unterwegs sein, geschweige denn wach. Straßenlaternen erhellen den anbrechenden Tag, der sich langsam und ungemütlich seinen Weg durch Regenschleier bahnt.
Auf den Asphaltwegen der Stadt rollen die Blechlawinen, der erste Andrang ist inzwischen vorüber, die ersten Menschen schlürfen vielleicht gerade den zweiten und dritten Schluck Kaffee aus schlecht gewaschenen Bürotassen.
Sie zwirbelt an der Schnur der Kopfhörer, wie immer haben sich über Nacht wahre Knotenrudel in die schwarzen Kabel hineingewunden. Sie seufzt, ihre Finger sind eiskalt und das Entwirren fällt ihr schwer.
Scheiße!, flucht sie und umrundet eine Pfütze, die sie gerade so aus den Augenwinkeln entdecken konnte.  Was für ein Morgen!, flüstert ihr durch den Kopf, als sie an der Bushaltestelle vorbeigeht und stumm Augenpaare ihr hinterher starren.
Erst waren beinahe zwei LWK mit ihrem Wagen kollidiert, dann hatte sie auf der Bundesstraße fast einen Fuchs überfahren. Zwei rote Ampeln und mehrere Flüche später parkte sie auf dem großen Parkplatz, wo man sie inzwischen tagtäglich antreffen konnte. Die Werkstatt gegenüber kam ihr schon vor wie unmittelbare Nachbarschaft, sie und die Arbeiter nickten sich zu, vielleicht konnte man im Sommer mal ein Bier zusammen trinken.
Tief hatte sie durchgeatmet, ehe sie den Rucksack auf den Rücken gezogen und auf die Fernbedienung des Autos gedrückt hatte.
Von ferne sah sie das Industriefeuer, das sie als Kind so fasziniert hatte. Wolkenschleier schoben sich vor die Flamme, die blaugrüngelbrot in die zu Ende gehende Nacht flackerte. Ein letzter Blick in die Fenster ihres Wagens, einmal das Spiegelbild überprüfen. Sie lachte, unwillkürlich.

Verdammt, war das kalt! Sie zittert, so sehr, dass sie ein klein wenig von ihrem Kaffee verschlabbert, den sie im Coffee to go - Becher vor sich her balanciert. Oder sich daran wärmt, je nachdem. Ein Bild für die Götter, wahrscheinlich. In der einen Hand, rechts, das Smartphone mit den endlos verquirlten Kopfhörern, in der anderen Hand, links, Kaffee. Halb dampfend, halb gefrierend, lebensnotwendig.
Sie nimmt einen Schluck der Koffeinbrühe, schließt die Augen, als sie das Elixier hinunterschluckt. Bitter und ungesüßt rinnt es ihren Hals hinunter, so wie sie es mag.

"She's been lonely and forgotten ever since/
But her beauty in the night light will remain"

Die beiden Zeilen aus Volbeats "Mary Jane Kelly" kommen ihr in den Sinn, im Kopf summt sie die Melodie mit.
Was für eine schöne Idee, einen Song über ein Opfer Jack the Rippers zu schreiben.
Sie lächelt.
1888 kann sie in Ziffern vor ihrem inneren Auge lesen - eigentlich war es eine spannende Zeit gewesen damals. Nicht anders als heute, irgendwie.
Mord, Totschlag, Krieg. Nichts Weltbewegendes und doch dreht sich der blaue Planet unaufhörlich, Jahr für Jahr.

In ihre Gedanken hinein rauscht der Zug, für den sie heute mitten in der Nacht aufgestanden ist. Niemand sollte um diese Uhrzeit unterwegs sein!

Mittwoch, 9. November 2016

Tanz

Herzklopfen, 
Schmetterlinge tanzen mit mir durch
den Regen über glitzernden 
Asphalt.
Mein Lächeln spiegelt sich
in Straßenpfützen
und den Augen der Punks, 
die am Bahnhof 
ihr Revier markieren. 
Neben Zigarettenkippen und
abgebrannt neben Jointstummeln
leuchtet verschwendet Zeit, 
die niemand zurückbringen kann.

Dienstag, 1. November 2016

Zugvögel

Als sie ihren Kopf aus dem Holzfenster streckte, konnte sie die Zugvögel hören. Schreihälse, die durch den Abend des ersten Novembers zogen und sich so unendlich viel zu berichten hatten.
Sie erzählten von Märchen, von großen Lieben und fremden Ländern, was sie in ihrem Sommer erlebt hatten und wem sie den Laufpass gegeben haben.
Ihr Gespräch kam als Schnattern in den Dörfern und Städten an, über die sie flogen. Die Flügel weit ausgebreitet, gegen Zugluft schützten Flaumfedern.
Für einen Augenblick schloss sie die Augen und wünschte sich, die Freiheit der Zugvögel auch in ihren Adern zu spüren. Einfach in die Nacht hinaus, dem Nachtwind entgegen, der sie auf Samtschwingen dorthin bringen würde, wo sie frei sein konnte.

Es duftete nach Regen, obwohl es den Tag über trocken, sogar sonnig gewesen war. Es duftete nach Herbst und Wintereinbruch, nach Pilzen, Moos, nassen Hunden und Spaziergängen über matschige Wiesen. Sie lächelte und trotz des kühlen ersten Novemberabends füllte sich ihr Körper von innen heraus mit Wärme.
Wie strubbelig ihre Haare doch gleich nach dem Wachwerden sind, dachte sie, noch immer an den Holzfensterrahmen gelehnt und musste beinahe im selben Moment lachen. "Sonst fällt dir nichts anderes zu mir ein?" , würde sie empört schnauben und ihre Augen groß aufreißen. Um ihre Mundwinkel würde ein Grinsen spielen, das sie nur mit Mühe unterdrücken könnte. Ein Kuss, tief und lang, oder vielleicht nur ein Stupser auf die Nase wäre ihre eigene Reaktion.
Ihre strubbeligen Haare... Sie kicherte leise, gerade so laut, dass sich auf der anderen Straßenseite eine Katze erschreckte und sie entsetzt anstarrte.
Ihre strubbelige Morgenfrisur kitzelte sie in der Nase, wenn sie aneinander gekuschelt den Morgen verstreichen ließen und über Wetter und Welt philosophierten. Autos hupten auf der Straßen, Rettungswagen fuhren den Berg hoch und runter, wahrscheinlich auf der Suche nach ihrem Patienten.
Was kümmert es uns, ging ihr durch den Kopf, während sie langsam den Griff des Holzfensters schloss. Schneidend war die Abendluft geworden, brannte ein wenig in Nase und Lungen.

Lass mich dir von Märchen und Heldinnen erzählen, von Wundern und Welten, in denen die verrückten die besten Menschen sind.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

In guten wie in schlechten Zeiten

Wunderschön sah sie aus! Ihre Haare trug sie dezent in einer Hochsteckfrisur, eine Haarklammer glitzerte beinahe schüchtern zwischen den dunklen Strähnen hervor. Das Make up war natürlich, ihre Lippen gerade so viel rot, dass sie zart leuchteten. Ihr Budget war knapp bemessen, so hatten sie sich kein aufwendiges Brautkleid leisten können. Es stört mich nicht, hatte sie gesagt und das beigefarbene Kostüm an sich gedrückt. Hauptsache wir schreiten als Braut und Bräutigam vor den Standesbeamten.
Wie glücklich war er in diesem Moment gewesen, wie stolz war er auf seine wundervolle Braut, die er so sehr liebte!
Ihr Anmut und ihre einfache Eleganz ließen ihn jedes Mal sprachlos werden. Wenn sie sprach konnte er sich in den Bewegungen ihrer Lippen verlieren, als würde sie Zauberformeln aufsagen und ihn damit verhexen.
“Ja, ich will!” Drei magische Worte, die Tränen des Glücks über seine Wangen strömen ließen. Er zitterte am ganzen Körper, sein geliehener Anzug schlotterte ihm um Knie und Taille und als er ihr Gesicht in beide Hände nahm war ihm, als hielte er den Goldenen Gral. Zuckersüß und wie Sonnenschein an einem hellen Sommertag schmeckte ihr Kuss. Warm und weich waren ihre Herzlippen, die sich seinen hingaben und ihm die beiden schönsten Geschenke  machten, die er sich je hatte vorstellen können: Liebe und Glück. 

Montag, 24. Oktober 2016

Sie schämt sich

Menschen strömen an ihr vorbei, der ein oder andere wirft ihr vielleicht einen Blick zu. Oder auch zwei, je nachdem.
Sie schämt sich. Für das, was sie ist. Für das, wofür sie steht. Sie schämt sich, wie sie auf dem Boden sitzt, einen Pappkarton unter dem Po, ein Kaffeebecher vor ihren Knien. Die rechte Hand nach vorne gestreckt, hin und her wippend, ein Flehen in den Augen. 

Der Morgen lief gut. Sie überlegt kurz, welches Datum wohl dick in den Kalendern der Geschäftsmenschen steht, die Aktentaschen schwenkend an ihr vorüber hetzen. Wahrscheinlich gab es vor ein paar Tagen Gehalt, denkt sie, während sie wie in Trance den Rotz unter ihrer Nase wegwischt. Natürlich mit dem Ärmel ihrer viel zu fadenscheinigen Jacke, die noch nicht einmal der ersten Herbstkälte Ende August standhalten konnte.
Zehn Euro und ein bisschen was zählt sie aus den Augenwinkeln in ihrem Kaffeebecher zusammen. Ungehört dringt ein Seufzen aus ihren Lippen, verhallt tonlos zwischen grauen Wolken und den Häuserfronten der Einkaufsmeile.

Ihr Bein kribbelt, irgendwie ignoriert sie es, weil sie weiß, der Schmerz, wenn es wieder wach wird, wird umso schlimmer sein. Alltägliche Mühen, geht ihr süßlich durch den Kopf. Bilder von Familienidylle, Sonntagmorgenfrühstück und Friede-Freude-Eierkuchen folgen.

Grau. Grau ist der Regen, der auf die Sraße platscht und sich in Pfützen sammelt, um unangenehm als Spritzwasser  unter Stiefeln und Sneakers hervor zu watschen. Es müffelt  nach nassen Hunden, durchweicht nach Socken und irgendwie abgestanden nach Stadt.
Sie verzieht das Gesicht und schaut einer jungen Frau dabei zu, wie sie versucht, Coffee to go, Regenschirm und Smartphone samt Kopfhörern zu koordinieren. Selbst als sie weg ist, folgt ihr Blick dem schwarzen Mantel durch den grauen Tag, ihr Hüftschwung erinnert sie ein wenig an sie. Damals.

Münzen klirren, Metall auf aufgequollener Pappe, eher ein Ploppen. Sie sieht auf, Gestalten, unförmig in Jacken gehüllt, beugen sich zu ihr, reden mit ihr. Reden mit ihr? Vielleicht. Oder doch nicht. Sie weiß es gar nicht, erkennt nur, wie Münder sich öffnen und schließen. Ob Worte herauskommen und die an sie gerichtet sind... Sie nimmt den Unterschied schon lange nicht mehr wahr.
Von ferne hört sie, wie ihre eigenen Lippen Wortklumpen hervorwürgen, in der Sprache, die sie verabscheut.

Sie schämt sich, und streckt der Stadt voller Trotz die wippende Hand entgegen.

Sonntag, 23. Oktober 2016

Hörst du?

Hörst du den Wind ums Haus schleichen?
Hörst du die Katze des Nachbarn Mäuse jagen?
Siehst du den Nebel am Morgen, der sich sanft aus Baumwipfeln erhebt?

Hast du mal vom Morgentau gekostet, der glasfarben auf Wiesen glüht?
Erinnerst du dich noch wie es als Kind war, das erste Mal im Sommer barfuß über den Asphalt zu laufen?
Schmeckst du noch lieblich Zuckerwatte vom Jahrmarkt auf deinen Lippen?


Donnerstag, 20. Oktober 2016

Artcore

Konzentriert, mit ruhigem Atem und stetem Blick surrt leise die Maschine unter seinen Händen. Winzig sind die Nadeln; ihr Vibrieren geht unter die Haut. Zusammen mit Blau, Schwarz, Grün und vielleicht einem Hauch Rot, eher Sonnenuntergangfarben.
Behutsam, wie ein Künstler über seine Leinwand, streicht er über sein Werk, seine Spielwiese.

Linien, Muster, Flächen, Farben. Seiner Fantasie entsprungen, irgendwoher geschenkt. Woher genau weiß er vielleicht selbst nicht, eine Gabe.

Er hält einen Moment inne, betrachtet seine Arbeit. Outlines, Inlines, Impro.
In der Rechten die Maschine, sein Pinsel, in der Linken ein farbgetränktes Zewa – Wisch und Weg. Der Farbüberschuss hinterlässt Schlieren, wie Autoreifen auf Asphalt.

Sein Bart ist schwarz und gepflegt, in den Haaren, die unter seiner Mütze hervorschauen, schimmert ein Glanz in Braungold mit. Nasenring und Tunnels in den Ohren passen zueinander – schwarz, matt, unmarkant.

Geht‘s? Sorry, ich mache das nicht mit Absicht, das ist halt einfach so...“ Irgendwie spielt um seine Mundwinkel trotzdem ein Lächeln – sympathisch.

Das Surren zieht sich durch Raum und Stunden, wie das Ticken einer Uhr, einprägsam.
Wie die Farbe, die Millionen seiner Nadeln unter Haut stechen.

Ein Kunstwerk, bezahlt mit Blut und Schmerz – Farbe für Blut.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Im Regen zu tanzen

Herbstwind streicht mir durchs Haar, hinterlässt Gänsehaut auf meinen Wangen. Ich lächle der Sonne entgegen, die alles warm in Licht taucht, meine Augen blendet und irgendwie auch meinen Blick trübt.
Für eine Sekunde schließe ich die Augen, atme tief in den Herbst hinein. Irgendwann, zwischen April und Juli ist Oktober geworden.
Goldener Oktober, denke ich, während mir das Gestern durch den Kopf geht.

Schmuddelwetter, Regen, Dunkelheit. Den Tag über war es nicht wirklich hell geworden, ungemütlich und braungrau.
Beim Blick aus dem Fenster tanzten Schirme wie Konfetti durch die Straßen, Menschen patschten missmutig durch Regenpfützen.

Ich öffne die Augen wieder, Sonnenreflexe in den Augenwinkeln. Kühl ist es, der Duft von frischgeröstete Maronen dringt an meine Nase.
Um mich herum treibt Hektik Menschen voran; mit Tüten und Sorgen beladen ziehen sie an mir vorbei, verkrampfte Gesichter.
Irgendwie freudlos.
Aus ihrer Menge steche ich hervor. Eine Insel Mensch im Schneidersitz auf einer Parkbank im Stadtzentrum.
Blätter fliegen quer über Hauptstraßen, braungelb, ein Hauch Grün ist noch in ihnen. Ehe sie auf der Windschutzscheibe eines LKWs landen, sehe ich ihnen nach, beobachte kurz ihr Spiel im Wind.
So leicht wie das tanzende Laub fühlt sich mein Herz an. Warm und sonnig, als würden Sonnenstrahlen es umwinden, mir den Sommer in Körper und Gedanken zaubern.

Lass mich singen, lass mich tanzen, tirillieren Frühlingsstimmen in meinem Kopf.

Ich atme mit dem Wind, fliege mit den Blättern und schicke mein Herz auf eine Reise.
Zu ihr.
Zu ihr allein, wo Sommer herrscht, wo Sonne Haut wärmt und eine Brise lau über meine Haare streicht.

Regentropfen, kühl und nass, unterbrechen meie Herzreise - für einen Moment. Ich schaue auf, um mich herum ist es leerer geworden, Regenschirmkonfetti sprenkelt sich hier und da schon durch die Straßen.

Ein Lächeln spannt sich über mein Gesicht wie ein Regenbogen sich glänzend über Wälder und Dörfer spannt. Ich kehre zurück zu ihr, zu meinem Herzen voller Sommer.

Erst als der Regen strömt, erhebe ich mich, langsam, um im Takt der Regentropfen unter den dunkelhellen Wolken zu tanzen.

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Song of the day

Der Hauch einer Melodie, vielleicht kombiniert mit ein paar Zeilen Text. Flüchtig im Autoradio aufgeschnappt, zwischen Ampelrot und Zebrastreifen, kaum hingehört. Doch gerade genug, um diese wenigen Worte nicht mehr aus dem kopf zu bekommen. Lippen schnurren lautlos Silben, Gedanken lauschen dem Text. Unvollständig und lückenhaft, wie ein verloren gegangener Liebesbrief. Ohne Adressat, ohne Ziel, ohne Sinn.
Das Netz durchforsten nach den Songzeilen, die Karussell fahren, immer rund und rund, ohne anzuhalten. Quietschend versagen die Bremsen, bis plötzlich - Erlösung.

Google zeigt 1.234.567 Ergebnisse an, der Song aus meinem Kopf ist Ergebnis Nr. eins.
Ich tippe irgendwie zittrig Interpret und Songtitel bei YouTube ein, halte eine Sekunde die Luft an, als das Verbindungsrädchen dreht. Videovorschauen ploppen auf meinem Display auf, wieder ist es Ergebnis Nr. eins.  Kaum geklickt ertönt die Melodie meines Kopfsongs, nach den ersten Takten nuschelt der Sänger die Worte, die mich den ganzen Tag begleitet haben.
Ich atme auf - kann sie endlich in einen Kontext einordnen, sie in ein Großes und Ganzes fügen, als hätte der verloren gegangene Liebesbrief doch noch seinen Empfänger erreicht.

Donnerstag, 29. September 2016

Der Junge

Ich fließe durch die Stadt, Samstagmittag. Horden von Teenagern jagen durch Shops und Boutiquen, tütenweise Schnäppchen schleppend. Familien mit kleinen und größeren Kindern flanieren Eis essend durch die Fußgängerzone. Wortgeblubber in Französisch, Deutsch, Englisch und Arabisch dringt an meine Ohren, während herbstlicher Wind Regenwolken davonträgt, die knallvoll über der Stadt hängen.
Knistern und Rascheln von Einkaufstüten untermalt die Monotonie von Musik, Räuspern, Husten und fröhlichem Geschnatter im Einkaufscenter. Hell und einladend ist die überdachte Ladenstraße, lockt mit mancherlei Angebot. Düfte, süß wie der Weihnachtsabend, wabern zwischen den samstäglichen Besuchern umher, verführen mit ihren Verheißungen. Brezeln, Kaffeeteilchen, Donouts, dazu lieblich Cappuccinodunst und Kakaosehnsucht.
Alles leuchtet und schillert, fast ist es eine Augenweide zuzusehen.
Ohne Hektik lasse ich mich treiben, mitreißen, fortspülen, wie Treibholz in einem Fluss. Wohin bringt mich die nächste Woge, wohin zerrt mich der übernächste Strom.
Smartphonemenschen mit Steifnacken strömen mir entgegen, vertieft in ihre Virtualität, während das Leben um sie herum in vollen Zügen stattfindet.
Irgendwo im ersten Obergeschoss bleibe ich stehen, muss mich orientieren. Boutiquen und Läden, soweit das Auge reicht. Jemand geht an mir vorbei, sein Geruch streift mich; irgendwas zwischen alter Pilzsuppe und Aftershave, das günstige.
Während mein Blick schweift, trällert auch mein Smartphone, ich ignoriere es.
„Mein Schatz, wir können uns das nicht leisten! Es geht wirklich nicht! Es tut mir Leid“
Ich hebe die Augen, versuche zu erkennen, wer die Worte gesprochen hat, die mir eine Gänsehaut verursacht haben. Die Stimme war hell und sanft, trotzdem robust, als wüsste sie, wie man den Strapazen des Lebens begegnet. Und definitiv die Stimme einer Frau, überlege ich, ehe ich sie sehe.
Zusammen mit einem Jungen, acht oder neun Jahre alt, steht sie ans Geländer gelehnt, hält seine Hand in ihrer und mit ihren Augen seinem Trotzblick stand. Ein wenig Traurigkeit zeichnet sich in ihrem Gesicht ab, undeutlich nur, kaum wahrzunehmen um die Augen herum. Im Gesicht des Jungen spiegelt sich dagegen alle Traurigkeit der Welt, gepaart mit Wut und Unverständnis. Sein Kinn bebt, wenn ich das auf die Entfernung sagen kann, als würde er jede Sekunde zu weinen anfangen.
„Wir können uns das nicht leisten!“
Die Worte hallen in meinem Kopf nach, ganz langsam verarbeitet mein Verstand sie. Eine Mutter, die dem kleinen Jungen aus Geldnot etwas verwehren muss. Ein Impuls schiebt mir einen Kloß in den Hals, ich habe das Gefühl, kaum mehr atmen zu können.
Weder Mutter noch Sohn sehen arm aus, gute Mittelschicht, denke ich. Ordentlich sind die Schuhe, die Jacken waren wohl etwas teurer. Keine Markensachen, diesen Firlefanz kann man getrost in diesen Schickimicki-Läden ruhen lassen.
Dezent geschminkt die Mutter, die Haare des Jungen kurz und modisch verstrubbelt. Eine Jeanshose mit Spiderman-Gürtel, Grundschul-Chick.
Und dazu das Kopfschütteln der Mutter.
Beide schweigen, sehen sich in die Augen, bis der Junge dem Blick ausweicht. Langsam, kraftlos und kapitulierend nickt er, wickelt sich dabei fester in die Jacke, obwohl die Temperatur im Einkaufcenter angenehm ist. Sanft legt seine Mutter ihren Arm um seine Schultern, er lässt sie hängen. Liebevoll schiebt sie den Kleinen Richtung Rolltreppe, kommt mir entgegen.
Ich suche an des Jungen Stelle ihren Blick, lächele sie mild an. Beinahe entschuldigend sieht sie aus, senkt die Lider und fährt die Rolltreppe hinab, während ich meinen Weg in den Samstag nehme.

Mittwoch, 28. September 2016

Der Mann mit den schwarzroten Ringelsocken

Kulisse: Theater im Schlosskeller. Ein spanisches Stück steht an, Musiktheater. Ich bin gespannt, so viele Aspekte häufen sich. Das Stück: spanische Sprache. Übertitel: deutsch. Bedeutet, mitlesen, die ganze Zeit. Falls es viel zu lesen gibt, man sagt ja, die Musik trägt ihre Geschichte auch ohne Sprachverständnis. Abwarten. Die Bühne: ich selbst habe vor vielen Jahren hier das Tanzbein geschwungen, war Bräutigam einer nicht ganz so grazilen Braut, die -wie ich selbst- etwas unbeholfen über den Holzboden geschlittert ist. Ein Grande Finale, schillernd das Kostüm, leuchtend die Augen der jungen Ballerinen. Groß der Applaus, stolze Eltern, die vielleicht die Chance erwitterten, dem Nachwuchs einst auf internationalen Bühnenbrettern applaudieren zu können.  
Ein weiterer Schritt Richtung Berufswahl, Berufswunsch: eine Kritik schreiben, über Wohl und Wehe des Stückfortgangs entscheiden, oder auch nicht. Karten sind bereits reserviert, der Saal füllt sich zusehends. Geblubber des Publikums, Schauspieler der billigen Plätze. Jacken knautschen und rascheln, Absätze schick angezogener Damen kratzen grässlich über den bedielten Boden. Musik vom Feinsten. Links eine Reihe vor mir, zum Ausgang hin, ein ältere Herr. Lederjacke, weiße kurze Haare, Brille. Ein standardisierter älterer Herr, sein Hemdskragen schaut über den Rand der Jacke. Eine Jeans an seinen Beinen vervollständigt das Bild, sein Outfit. Ein Bein ruht locker auf seinem Oberschenkel, Anzugsschuhe lugen darunter hervor. Er blätter in einem Flyer, wahrscheinlich einer von denen, die beim Kartenverkauf ausgelegen haben. Von der Seite kann ich seine Augen hin- und herblitzen sehen, wie er Buchstabe für Buchstabe studiert. Seine Hände hält er ruhig, sie zittern nicht, liegen entspannt auf dem Bein. Ich betrachte den älteren Herrn von meinem Platz aus, sympathisch scheint er mir. Ein Zeitgenosse, mit dem man ein Bier so wie eine Wagneroper überstehen und anschließend diskutieren kann. Ein wenig muss ich lächeln, all diese Dinge schweben durch meinen Kopf, während mein Blick auf seinen schwarzroten Ringelsocken verharrt.

Dienstag, 27. September 2016

Donnerstag, 22. September 2016

Über

Über der Stadt,
Die längst ruht.
Über Dächern,
Die schon lange kein Heim
Mehr sind.
Ein Meer aus verbrannten Ziegeln
Wogt unter meinen Füßen.
Dachpappe, auf der ein
Paar Sprayer ihre
Tags verewigt haben -
Grellgrau.

Sonntag, 18. September 2016

Ölgemälde

Wenn aus Nacht Tag wird,
wir ewig in Deckentürmen liegen und uns
vom Muhen der Kühe sanft in den Schlaf wiegen lassen, 
während vor dem Fenster Regen zeitlupengleich auf Ziegel 
tropft,
spüren wir
unser Leben
am meisten.
Wie auf einem Ölgemälde ruht mein Kopf
in deinem Schoß, 
oder dein Kopf in meinem, 
so genau kann ich mich nicht erinnern, 
an die Stunden des unendlichen Morgens.
Du streichst über mein Haar,
dein Blick verliert sich irgendwo.
Lächeln umspielt deine Lippen,
verliebt.
Du beugst dich zu mir hinab,
küsst mich liebevoll -
als ich die Augen wieder öffne,
ist es Abend.


Freitag, 16. September 2016

Stadt im Regen

Ich ging heute durch die Stadt.
Es regnete und ich hatte weder Schirm noch
Kopfhörer bei mir.
Tief in meine Weste gekuschelt folgte ich
meinen Füßen, die auf dem Nass des Bodens leicht dahinglitten.
Aus dem Sommer war inzwischen September geworden,
auch er war schon zur Hälfte vorbei.
Es duftete nach Stadtherbst, nach Blätternass
und Brezelschwaden,
nach Coffee to go und
neuen Schuhlieferungen bei Deichmann.
So frisch dekoriert sahen die Schaufenster
nett aus,  hübsch und adrett,
Stolperfallen einer heruntergekommenen Konsum-
gesellschaft. Ich warf ihnen nur einen Blick zu
und vergaß im nächsten Atemzug, was ich ich
gesehen hatte.
Oktoberfest war die Jahreszeit,
die die Menschen gerade feierten.
Weißwurst, Bierzelte, Weißblaue Rauten überall -
Fremdenscham statt Fremdenhass.
Meine Gedanken gingen zusammen mit mir spazieren,
als ich heute im Regen durch die Stadt lief,
ich atmete durch. Ließ jede Gedankennuance
zu Wort kommen, spürte jeder Illusion beinahe sehnsüchtig nach.
Menschen kamen mir entgegen,
ihre Gesichter irgendwie griesgrämig und eintönig,
dabei war der Regen so frisch und leicht.
Es war der erste Tag seit langem, der sich
Grau in Grau in Grau in Grau
präsentierte und nicht so richtig hell werden wollte.
Ich sah in die Gesichter des Menschenstroms,
gegen den ich schwamm, suchte nach Blicken,
nach Worten, nach Lächeln.
Ich suchte vielleicht nach Regungen menschlichen Daseins,
vielleicht ließ ich mich aber auch nur dahintreiben.
Ein Blatt im Wind,
ein Ast im Fluss,
eine Fliege im Spinnennetz.
Ich hielt einen Moment inne, ordnete meine Gedanken,
schüttelte den Kopf und ging weiter.
Nass waren meine Schuhspitzen inzwischen,
möglicherweise hätte ich nicht gerade weiße Stoffsneaker anziehen sollen,
heute morgen.
Vor einer Ewigkeit.
Ich ging durch die Stadt,
im Regen, während ich Menschen ansah und meine
Gedanken an der Hand neben mir spazieren führte.


Montag, 12. September 2016

Ich dachte

"Ich dachte, du liebst mich!", sagte sie und sah ihn an.
Stumm und mit diesem Blick in den Augen, der ihn seit Monaten schier in den Wahnsinn trieb. Ihre Lippen schmollten, sie hatte wieder die Spottfalte um den Herzchenmund, den er zu Anfang so gerne geküsst hatte. Zu Anfang.
Er seufzte.
"Kannst du bitte mal was dazu sagen?" Die Stimme so voller Vorwurf, so voller... Er sparte sich die Mühe nach weiteren Beschreibungen zu suchen.
"Was soll ich denn sagen?"
"Vielleicht, wieso du deine Kollegin gevögelt hast?"
Wut. Wut lag in ihrer Stimme. Vorwurf und Wut, meistens waren es die beiden Färbungen, die ihr Tonfall annahm, wenn ihr Herzchenmund mal wieder Gehässigkeiten ausspie. Wie ein Drache, nur nicht ganz so liebenswürdig.
Er zuckte die Schultern, konnte sehen, dass sie das noch mehr in Rage brachte.
"Ich dachte, ich liebe dich...", griff er ihre Streiteingangsfrage auf. Immerhin konnte sie ihm nicht vorwerfen, er höre nicht zu.
"Was?!" Farblos war ihre Stimme plötzlich. Wie eine graue Ziegelsteinwald, von der man die Graffitis abgewaschen hatte.
Schlagartig wurden ihre Augen, in denen er schon vorher verdächtigen Schimmer festgestellt hatte, nass. Aus dem Saphirgrün perlten Tränen, hinterließen regentropfengleich Spuren auf ihrem Shirt.
"Ich dachte das mit uns wäre etwas Besonderes, etwas, das nur wir haben..." Hilflos nestelte sie an einem Fingernagel herum, riss ihn ab, während ihre Worte ertranken.
Er konnte es nicht leiden, wenn sie das tat. Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete er eine Sekunde den Nagelrest, der sich in der Shirtfalte auf ihrem Bauch fing.
"Das war allein deine....Interpretation. Ich habe das so nie gesagt!" Cool und beherrscht lehnte er sich auf dem Sofa zurück.
"Es geht nicht darum, was du gesagt hast, sondern wie es rüberkam und  wie es sich angefühlt hat!" Sie weinte, als sie mit krausen Gedankengängen um sich warf. Der Damm war endgültig gebrochen, die Schleuse stand sperrangelweit offen.

Irgendwie hatte er Hunger. Vielleicht konnte er später noch mit Chris einen Döner essen gehen. Oder zu Bastian ein Bier trinken.
Ihr Schluchzen riss ihn aus seiner Abendplanung, richtig, hier gab es noch eine Schlacht zu schlagen. Das letzte Gefecht, sozusagen.
Sein Fremdgehen war mit einem Mal nicht mehr Vorwurf Nummer 1, dachte er in einem Anflug von Zynismus.
"Du hast mich nie geliebt Wirklich nie?" Rotz lief ihr aus der Nase, wanderte Richtung Herzchenmund. Er brauchte eine Sekunde, sich von dem Anblick zu lösen, ein Ekelschauer überlief ihn.
"Ich hab's versucht, ich hab's mir eingeredet", sein Blick ging nach unten, vielleicht war er ihr schuldig, so zu tun, als würde er die Tatsache, sie nicht lieben zu können, ehrlich bedauern. "Es hat nicht geklappt!" Ob seine Stimme sich so kalt anhörte, wie die Worte eisig aus ihm hervorsprudelten?

"Du hast es VERSUCHT?" Ihre Worte überschlugen sich, Tränenbläschen spritzten wie Meeresgischt  durch die Spannung der Luft.
"Bin ich so ein Ekel, dass man hartnäckig versuchen muss, mich zu lieben?" Die Mascara lief ihr in Strömen übers Gesicht, irgendwie hatte sie was von einem schwarzweißen Clown. Nein, berichtigte er sich. Clowns waren lustig. Oder zumindest gruselig. Sie war gerade einfach jämmerlich.

Er schüttelte den Kopf, wollte ihren Blick mit seinem festhalten.
"Hey..." Sollte er ihren Arm streicheln? Er machte Anstalten dazu, doch sie drehte sich entschlossen weg. Funken sprühten nun aus dem Spahirgrün ihrer Augen.
"Fass mich nicht an!", zischte sie. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sich ihr Nackenhaar aufgestellt hätte wie bei einer wütenden Katze.
"Ich bin fertig mit dir! Ich will dich nie wieder sehen!" Die Worte schossen ihm entgegen, schleuderten in Saltos um seine Ohren und schenkten ihm ein Gefühl von Freiheit. Freiheit, endlich wieder.
Langsam nickte er. "Okay."
"Mehr hast du nicht zu sagen? Nur "okay"?" Verachtung.
"Nein. Nur okay."
Er stand auf, sah sich nochmal in ihrem Wohnzimmer um, schnappte sich seine Autoschlüssel und das Smartphone. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Wohnung, zog die Tür hinter sich ins Schloss und freute sich über das Geräusch, mit dem sie ihn verabschiedete.
"Ich dachte du liebst mich!", hörte er sie auf der Straße weinen.

Samstag, 10. September 2016

Bahnhofs-Charakter

Am Bahnhof festkleben,
Keinen Schritt vor den anderen
Setzen können.
Flüssigkeiten verschiedenster Art,
Angetrocknet,
Flecke auf Verbundstein.
Es riecht nach Pisse und Verspätung.
Irgendwo raschelt das Burgerpapier von letzter Nacht
aufdringlich im Fahrtwind eines dahinkriechenden Güterzugs.
Dreckfetzen wirbeln unter der
Überdachung am Bahnhof,
Wo Schuhsohlen am Boden
Festkleben.

Freitag, 9. September 2016

Wir ergötzen uns

Wir verschwenden Lebenszeit und
sparen Datenvolumen,
nur um fetten Frauen im Netz
beim Verschlingen von 5000kcal
am Stück zuzusehen -
bodyshaming to go.
Wir ergötzen uns auf Twitter
an Gesichtern der Not und des Leids,
nur um dem Gutmenschentum,
dem heiligen,
gerecht zu werden.
Wir zersäbeln die Erde,
unterwerfen sie, erforschen sie -
Alles in Auftrag und Sinne der
Wissenschaft.
Wir pflanzen Strommasten,
warten bis sie blühen
wie die Wildrosen,
die wir im Staub zurückgelassen haben -
vielleicht treiben sie aus,
irgendwann.
Unser Leben hat online
mehr Bedeutung als analog,
Follower sind die besseren Freunde,
während die Sucht nach den
täglichen Likes niemanden mehr
in die Stammkneipe treibt abends.

Donnerstag, 8. September 2016

Sonntagmorgenträumerei

Der Sonntag regnete grau auf das Dach, über dessen Ziegel man Felder und Bäume sehen konnte. Seidig hingen Wolken im Geäst der Buchen und Eichen, umschlungen Sommerblätter und Herbstfrüchte; vereinzelt tropften Wasserperlen hell wie Kristall auf Birkenrinde, hinterließen Spuren aus Silber. Es duftete frisch und irgendwie ein wenig nach warmem Holz. Sacht strich eine Windbrise über mein Ohr, ich konnte spüren, wie das Babyhaar direkt unterhalb des Ohransatzes meine Haut kitzelte. Voller Behagen zog ich die Bettdecke ein Stück weiter über meine Schulter und kuschelte mich tiefer in Kissen und Wärme. Ich blinzelte eine Sekunde, verschlafen,  und als ich sie neben mir liegen sah, ganz in Bettdecke und Kissenschluchten vergraben, schien meine Welt perfekt. Sie atmete gleichmäßig; ich konnte das Auf und Ab ihres Brustkorbs beobachten, in dieser Winzigkeit von Moment. Die Sonne in meinem Herzen zeichnete ein Lächeln auf meine Lippen, ich streckte unter der Decke eine Hand durch, berührte sanft ihren Rücken. Sie bewegte sich, irgendwie, als würde sie sich in ihrem Schlaf gestört fühlen. Prinzessinnenschlaf, dachte ich und fiel in Sonntagmorgenträume. 

Mittwoch, 7. September 2016

Er sitzt

Auf seinem Hocker, zwischen all diesen Menschen, die vorüber hetzen und für die jeder Tag gleich ist, sitzt er. Tag ein, Tag aus. Er sieht Regen und Sonne, spürt den Wind auf seinen Wangen, obwohl er ihn schon lange nicht mehr wahrnimmt. Vielleicht seit zwei Jahren, oder doch seit zwei Jahrzehnten? Es spielt keine Rolle mehr, redet er sich ein, während ein Hund auf Augenhöhe an ihm schnuppert. 
Vor seinen Füßen stapelt sich Kleingeld im Kaffeebecher von Starbucks, achtlos hineingeworfen, ein Cent, zwei Cent, ein Euro. Von seinem Hocker aus kann er sehen, dass es noch nicht einmal genug sein wird für... Wofür eigentlich? Kaffee? Eine warme Mahlzeit? Tee? Schon lange wusste er nicht mehr, was er wirklich wollte, was sein Körper brauchte, wonach er verlangte. Hier und da schmerzte ihn der Rücken, die Knie taten ihm vom täglichen Sitzen weh, irgendwie waren sie steif und unbeweglich geworden.
Er reibt sich durchs Gesicht, rau, beinahe ledrig fühlt es sich an. Eine Sekunde erschrickt er, fängt sich aber schnell und lenkt seinen Blick zurück auf die Straße. Zurück zu den Menschen, die er schon lange nicht mehr verstehen kann. Seit zwei Jahren vielleicht, oder auch seit zwei Jahrzehnten. So genau weiß er das nicht mehr, eine Rolle hat es wahrscheinlich noch nie gespielt.
Er sitzt auf seinem Hocker, in der Stadt, und beobachtet Menschen, die leblos ihre Zeit vergeuden.

Montag, 5. September 2016

Melodie

Manchmal hört man diese Melodie. Die man schon jahrelang nicht mehr gehört hat, oder noch vor wenigen Minuten auf den Ohren hatte. Man verharrt eine Sekunde in dem, was man gerade macht. Kochen, Autofahren, mit dem Hund im Wald herumstromern oder eine Zigarette rauchen.
Sie trifft mitten ins Herz, setzt den Verstand außer Kraft und schenkt Gänsehaut, die angenehm gruselig den Rücken überzieht. Fein stellen sich Armhärchen, irgendwie fühlen sich die Ohrspitzen warm an.
Erinnerungslücken durchziehen Gedankenströme, Gefühle schlagen Wellen, höher als Ozeane.

Diese eine Melodie.
Tagelang gehört, nächtelang geträumt.
Diese eine Melodie, die vielleicht zu genau dem einen Menschen gehört hat.
Und immer noch gehört, wenn man ehrlich zu sich selbst ist.
Kann man Mensch und Melodie voneinander trennen, wenn sie erst zu einem geworden sind?
Erinnerungen löschen, die stundenlang Namen und Noten in Herzwände gegraben haben?
Diese eine Melodie, zur Seuche geworden, zum Methadon der Verliebten.

Dienstag, 30. August 2016

Entschuldigung, sitzt mein Nasenpiercing noch richtig?


Die Luft steht in dem Studio, das sich an den Klassenraum angliedert. Muffig und irgendwie abgestanden, seltsam schal und scharf dringt Staub in unsere Nasen, legt sich auf unsere Bronchien.
Wir machen hier jetzt mal Fotos, guckt euch mal um und macht euch einen Lichtaufbau, wie ihr das aus euren Studios kennt!“ Die Lehrerin, altersmäßig schwierig einzuschätzen, sportlich gekleidet und mit blond-dunklen Haaren lässt sich auf den Hocker fallen, der vor dem Studiorechner steht. „Mal sehen, was sich hier so über die Ferien getan hat...“ Sie blickt auf den Bildschirm, drückt Tasten und gibt Passwörter ein, verbindet die Kamera mit dem iMac.
Wir stehen zu viert im Halbkreis, sehen uns an, S lacht schief. „Wir haben bei uns ein Haarlicht, eine Softbox und ein Hintergrundlicht, das einen Verlauf zeigt“, beginnt er, nestelt dabei irgendwie an seinem Tshirt herum. R nickt. „Wir haben kein Haarlicht, aber dafür noch einen Aufheller dazu.“ Ich überlege kurz. „Wir benutzen je nachdem das Haarlicht, haben aber auch eine Softbox, einen Aufheller und ein Hintergrundlicht.“
Die Lehrerin schaltet sich wieder ein, sieht S direkt an. „Dann würde ich doch sagen, wir fangen mit deinem Aufbau an. Bau du dir, wie du es gewohnt bist und es fotografiert dich dann jemand.“
Zusammen bauen wir Lampen und Lichter auf, verlegen Kabel und arrangieren uns mit dem Stromgenerator, bis unser Hintergrund dunkelgrau lichthell ist.
So S, das ist dein Aufbau, wer fotografiert dich jetzt darin?“ Ich mache einen Schritt nach vorne, nehme von der Lehrerin die Kamera in Empfang. S setzt sich auf den runden Winzhocker, von dem auf beiden Seiten ein wenig seiner Masse herabhängt. „Lass mich bitte dünn aussehen!“ Er lacht. Ich mag Menschen, die über sich selbst lachen können und nicht toternst sterben müssen. Langsam lockert sich die Stimmung, auch R und M lachen, aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie unsere Lehrerin sich entspannt.
Setz dich bitte mal ein wenig seitlicher, dreh deine Beine nach da“, als wäre er ein Bewerbungsfoto-Kunde im Studio postiere ich ihn, rücke ihn ins rechte Licht. Er lächelt mich freundlich an, wackelt dann irgendwie mit der Nase.

Entschuldigung, aber sitzt mein Nasenpiercing noch richtig?“

Ich lasse die Kamera vor meinen Augen sinken, starre S‘ Nase an und muss lachen. Auch R und M lachen, die Lehrerin beugt sich nach vorne, betrachtet sich ebenfalls ausgiebig die Nase ihres neuen Schülers. „Ähm.. ja, kann man so sagen!“
Was soll da denn nicht sitzen?“ R japst leicht nach Luft. „Na, ob das Septum schief oder gerade ist, Mann!“ S fummelt an seinem Piercing herum, goldfarben ist es und wirkt in seinem Gesicht irgendwie verloren. Zusammen mit den Stracciatella-Tunnels ergibt sich jedoch wieder ein Bild, das mich zufrieden stimmt. Ein sympathischer Typ, geht mir durch den Kopf, während ich versuche, sein leichtes Übergewicht auf dem Foto für den neuen Schülerausweis zu kaschieren.

Montag, 29. August 2016

Auf ein Bier mit dem Dealer

"Hier." Er wirft ein Tütchen über den Tisch, es landet neben meiner Flasche Heineken. Ich schaue ihn eine Sekunde an, dann greife ich nach dem durchsichtigen, dünnen Plastik, lasse es zwischen meinen Fingern verschwinden.
"Okay", nicke ich ihm zu, erstaste in der Hosentasche den Inhalt des Tütchens. Nicht hart, nicht weich, irgendwie porös und knibbelig fühlt es sich unter meinen Fingernägeln an, ein Stückchen lässt sich sogar abdrücken.
"Wie immer?" Ich nehme einen Schluck Bier, stelle die Flasche mit einem Klonk wieder auf den Tisch.
Diesmal nickt er, sein Blick streift über den Marktplatz. Um diese Zeit sind Stühle und Tische besetzt, Kellner schleppen Bier, Cocktails und Shots, ihre Gäste feiern den Sommer und sich selbst. Stimmgeblubber hallt in Gassen wider, ungehört und vom Sommerwind getragen.
"Wie geht's Jonny?" Meine Frage scheint ihn zu überraschen - kurz. Früher oder später erkundigte sich jeder nach Johnny.
"Man hört nicht viel."
Seine Antwort ist kühl und irgendwie distanzlos, subjektiv, obwohl sie objektiv sein könnte. Sie lässt jede weitere Nachfrage im Kern sterben, ich nehme noch einen Schluck Bier, meine Finger spielen mit dem Aschenbecher.
Ich versuche, seinen Blick zu fangen, ihn festzuhalten, zu bannen.
Es gelingt mir nicht, stattdessen kramt er umständlich nach seinem Portemonnaie, fischt einige Münzen heraus. Mit Getöse klimpert er sie auf den Tisch, ein zehn Cent Stück rollt einen Zentimeter, kippt dann um und bleibt liegen.
"Ich muss wieder los. Meldest dich wieder, okay?" Wortkarg, mit einem kurzen Klopfen auf den Tisch steht er auf und geht.
Im Olivgrün seiner Chucks sind Löcher, auf die jeder Straßenpunk stolz wäre. Sein Gang ist irgendwie tänzelnd und hinkend gleichzeitig, es scheint, als würde er das rechte Bein ein wenig nachziehen. Die Jeansjacke, natürlicher used look, schlabbert um seine Hüfte, die Shorts hingegen sitzen einen Hauch zu eng. Hände tief in den Taschen, den Kopf erhoben schleicht er über das Kopfsteinpflaster, hinein in den Abend, ein Kind der Nacht.

Samstag, 27. August 2016

Immer Donnerstag I

"Einen Milchkaffee, bitte!" Betty lächelt die Barista mit dem Halstuch in Himmelblau an. "Sehr gerne, darf es sonst noch etwas sein? Ein Stück Kuchen vielleicht?" Einen Moment überlegt Betty, schüttelt dann aber den Kopf. "Nein, danke, ich nehme nur den Kaffee." Die Barista nickt freundlich, stellt eine schöne, geschwungene Tasse unter die Kaffeemaschine und drückt den Knopf. Knatternd rattert  das Mahlwerk, Kaffeebohnen verlieren sich im Sog des Strudels, werden zu fein duftendem Pulver verarbeitet, um im nächsten Augenblick im kochenden Wasser die Metamorphose zu Bettys Bestellung zu vollenden. Während die Barista ein Milchkännchen aus Metall unter die Aufschäumdüse hält, tobt draußen in der Haupteinkaufsmeile der Stadt der Donnerstagmorgen.
Lieferwagen, Geldtransporter, Menschen mit Tüten in den Händen stehen sich gegenseitig im Weg und blockieren die Fußgängerzone. Baustellenlärm dröhnt, die Glasscheiben des Cafés halten nur wenig davon ab.
Bettys Blick ruht eine Sekunde auf dem Leben vor der Tür, kehrt dann aber in das Café zurück, köstlich duftend steht ihr Milchkaffee inzwischen auf der Theke vor ihr.
"2,80€, bitte!" Auch die Barista blickt zur Tür hinaus, eine Augenbraue hochgezogen. "Heute wird es wieder laut... Oh, Ihre Freunde sitzen schon alle da!" Betty drückt der jungen Frau mit dem Halstuch in Himmelblau drei Euro in die Hand. "Stimmt so!" Sie lächelt, die Barista lächelt zurück. "Ist mal wieder Donnerstag, nicht wahr?" Betty nickt, hebt ihre Tasse vorsichtig am Unterteller hoch und freut sich, dass sie neben dem Tütchen Rohrzucker -wie immer donnerstags- einen Keks findet. "Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und bis nächste Woche!", verabschiedet Betty sich, während sie aus der Tür hinaus und auf ihre Freunde am Tisch unter dem großen Sonnenschirm zugeht.

Dienstag, 23. August 2016

Käse mit Salatgurke

Zutrauen, gefunden im Stadttumult an einem Montag.
Misstrauen überwunden,zu schön scheint die Sonne zwischen Blätterdach und Ästen hindurch.
Käse mit Salatgurke,zur rechten Zeit am Mittag.

Montag, 22. August 2016

Die sterbende Fliege in der Ecke meines Computerbildschirms

Feierabend, beinahe. Ich rieche fast schon den süßlichen Gestank der Heimfahrt im Zug. Zu viele Menschen auf zu kleingeratenen Sitzen, deren Samtstoffbezug schon vor fünf Jahren hätte ausgetauscht werden müssen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, während mein Blick fest auf den Computermonitor vor mir gerichtet ist. Ausschnitt vergrößern, Pickel mindern, Fliegehaare entkräuseln.
Draußen rauscht die Stadt mit ihren Geräuschen. Menschen streiten, Kinder quietschen, irgendwo lamentiert ein Betrunkener. Neben Tütenrascheln und Pommer-Knistern  schnüffeln Hunde durch das Meer aus Fußgängern, immer auf der Spur nach dem letzten Wurstzipfel.
Ein Blick auf die Uhr -oben rechts im Monitor- verrät mir, noch knapp 35Minuten.
Still ist es im Büro, nur das Klicken mit der Maus hallt unendlich laut von den Vierwänden wider.
Während ich nach der Flasche  auf meinem Schreibtisch greife, um den letzten Schluck Sprudelwasser  zu trinken, wird mein Blick von einer nahezu mikroskopisch kleinen Bewegung auf dem Monitor festgehalten. Die Flasche in meiner Hand schwebt eine Sekunde über der Tastatur, ich kneife die Augen zusammen.
Oben rechts, ganz in die Ecke gekauert, sitzt etwas Schwarzes. Zusammengeknäuelt, ein Häufchen Ichweißnichtwas. Zaghaft stupse ich das Etwas mit dem Kleinen Finger an, es surrt unter der Berührung, bewegt sich träge. Verkriecht sich weiter in den Monitorwinkel und scheint doch irgendwie auf dem Präsentierteller zu liegen.
Eine Stubenfliege im letzten Stadium ihrer Entwicklung. Musca domestica, zum Sterben bereit. Ich betrachte sie einen Moment, irgendwo regt sich Mitleid, allerdings nur so zaghaft, wie das Tierchen auf meinem Monitor.
Sollte ich ein schlechtes Gewissen wegen meines fehlenden Mitleids haben? Ein Hauch Selbstzweifel ziehen am Horizont meiner Gedanken auf, ähnlich langsam wachsenden Gewitterwolken. Die Fliege summt leise, sortiert ihre Beinchen, putzt sich nochmal die Knitterflügel.
Wahrscheinlich spürt sie, wie ihre Kräfte sie langsam verlassen, wie sie immer müder und schwerer wird, wie ihr jede Bewegung anfängt Schmerzen zu bereiten. Sie weiß nicht, wieso oder warum, und letztlich spielt es keine Rolle für sie. Sie wird sterben, vielleicht noch nicht einmal mehr zehn Uhr heute Abend erleben.
Ich sitze einfach da, starre auf die sterbende Fliege in der Ecke meines Computerbildschirms und weiß nicht, ob ich Mitleid haben soll.

Sonntag, 21. August 2016

Luftballon

Ich sah dem Luftballon nach, der vom Wind immer weiter in den Himmel getragen wurde. Mal kippte er nach links, mal nach rechts, nur um in der nächsten Sekunde wieder schnurgerade aufzusteigen. Der Faden an seinem Ende bewegte sich mit den Luftströmungen, mir war, als würde er zum Abschied winken.

Es war September geworden, irgendwie.  Juni, Juli und August hatten sich davon geschlichen, auf Samtpfoten, stolz wie eine Perserkatze. 

Meinen Luftballon konnte ich kaum noch erkennen, ein Farbklecks am Himmelsgrau, so weit weg von der Erde.
Schauer überliefen mich, ich spürte, wie der Wind die Fährte einer einzelnen Träne auf meiner Wange nachzeichnete. Sie trocknete schnell und brannte sich mir doch tief in Herz und Seele. 

"Mama, wirst du mich immer lieb haben?"

Die Frage hallte in meinen Ohren, wieder und wieder sah ich mich, meinem Kind über seine 
Wuschelhaare streichend. 

"Ich werde dich immer lieb haben!"
"Auch in tausend Jahren noch?" Seine Frage war  so voll kindlicher Sorge, dass sich mein Hals zuschnürte.
"Auch in tausend Jahren noch!" Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange, er drehte den Kopf unwirsch weg, dachte kurz nach. Seine Stirn legte er dabei in Falten und sah für einen Moment aus, wie ein sehr kleiner, sehr alter Mann in Batman-Pyjama.

"Mama...und wenn ich tot bin, wirst du mich dann immer noch lieb haben?" Ich konnte sehen, wie seine Augen, weit aufgerissen und so unglaublich grün,  nass wurden und seine Nasenflügel zu beben begannen. 
"Ja, mein Schatz, auch wenn du tot bist, werde ich dich immer noch lieb haben!" 
"Gut!" Er nickte und schmiegte sich zufrieden in meine Arme, eine Träne rollte einsam seine Wange hinab und landete auf einem der vielen Schläuche, die seit einigen Monaten zu seinem Körper gehörten.
Ich sah auf das Kind, das sich in meine Arme kuschelte und schluckte. Schluckte einfach alles hinunter, was sich in diesem Augenblick in mir aufbäumte, ich schob es nach hinten. Weit nach hinten, die Zeit würde kommen, alles hinauszulassen, aller Wut, allen Tränen, all den zu vielen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Es war September geworden. Und zusammen mit den Herbstwinden war meine Zeit gekommen. Meine Zeit, loszulassen, zuzulassen. Mein Kind in Frieden ziehen zu lassen.
Ich sah ins Himmelsgrau hinauf zu der Stelle, an der ich meinen Luftballon zum letzten Mal gesehen hatte und weinte.

Samstag, 20. August 2016

Menschen sehen

Menschen sehen. Sie nicht nur als Körper wahrnehmen, der auf zwei Beinen über Stock und Stein oder manchmal auch durch Gassen stolpert.
Menschen richtig sehen.
Hinter Fassade und Maske, hinter ihre Shirts von Esprit und die Jeans von C&A.
Menschen sehen, Körper zusammen mit ihren Gedanken und Ängsten, ihren insgeheim versteckten Sorgen und Wünschen.
Ihre Geschichte sehen, verstehen, ohne zu verurteilen.
Vorurteilsfrei über abgenutzten Asphalt schlendern und den Menschen ins Gesicht sehen.
Lächeln.
Weil hinter jedem Wimpernschlag unzählige Geschichten warten.

See mit M.


Zart wie Pusteblumenschirmchen berühren sich unsere Arme. Wenige Millimeter nur, doch mein Körper jubiliert. 
Endorphine, Dopamin, Adrenalin schießen als Chemiecocktail durch mein Blut; Happy Hour. Sie verkünden jeder noch so kleinen Zelle, flüstern es jedem Mitochondrium ins Ohr: verliebt. Glücklich. Endlos verliebt und daher glücklich.
Eine Verkettung von Zusammenhängen, Kausalkette, wäre man pingelig.
Ich muss schmunzeln über die Gedankenfetzen, die mir durchs Hirn jagen, sich dort überschlagen und mich zum Lachen bringen. Seit langem wieder, ehrlich, rein, erlösend.
„Was lachst du?“ Ihr Blick ruht auf mir, Dämmerungslicht färbt ihr Haar an den Spitzen rosé-braun.
„Nur so“, ich rücke ein Stück näher zu ihr, spüre die Wärme ihres Körpers. Mein Herz fühlt sich an, als wolle es vor lauter Glück, Glitzer und Kitsch zerspringen, als ich mich an sie schmiege.

„Nur so“, wiederhole ich, es ist fast geflüstert.
Sie dreht sanft meinen Kopf zu sich, küsst meine Stirn.

Völlig ruhig ist es um uns herum. Der Baggersee liegt alufoliensilbern, sein Ufer spiegelt sich; Bäume stehen auf dem Kopf. Wie meine Welt, seit sie ein Teil davon ist.
Frösche spielen lauthals Stille Post, ab und zu krächzt ein Graureiher.
Sacht versinkt die Sonne an diesem Feiertag hinter einer der aufgeschütteten Erdmassen, ihr Licht eine Mischung aus Orangerosa und Romantisch.

Ich streiche über ihren Arm, Härchen stellen sich unter der Berührung auf, sie drückt mich ein wenig fester an sich. Während ich die Augen schließe, um vollkommen in diesem unendlichen Moment zu versinken, zieht die Sonne an diesem Abend ihre letzte Runde. Die Nacht ist angebrochen. 

Freitag, 19. August 2016

Wenn nachts

Wenn nachts Fragen dich nicht schlafen lassen, wie fühlst du dich dann?
Zermürbt, zerknirscht, zerkaut und ausgespuckt? 
Wenn nachts die verdammten Schafe zu träge sind, über diesen Zaun zu springen, hinein in Träumereien, wie geht es dir dann?
Zerrissen, verloren und hoffnungslos?
Wenn nachts Ideen fließen und du Hochleistungseinfälle tetrisartig im Kopf stapelst, 
was denkst du dir?
Vergeblich, umsonst, zwecklos?
Wenn nachts der Mensch, den du liebst, sich zu dir dreht, um den Arm um dich und all deine Fragen zu legen, springt dann nicht dein Herz vor Glück?
Könntest du dann nicht deine traumlosen Schafe umarmen, deine Fragen wie Seifenblasen zerplatzen lassen und deine Ideen für den nächsten Morgen aufheben? 
Wenn nachts der Mensch, den du liebst, seinen Arm um dich legt, genieße mit ihm zusammen  Weichheit und Reinheit des Dunkel.

Dienstag, 9. August 2016

Warte mal 'ne Sekunde!

Sekunden,zu ewig,um langanhaltend zu sein.
Sekunden, zu intensiv,um im Laufe des Tages zu verschwinden.
Zu viel Leben,zu viel Gefühl in dieser Zeiteinheit,dreifach zu viel.
Vielleicht sollten Sekunden manchmal zu Minuten werden,um ein Wenig ihrer Bedeutsamkeit zu verlieren.

Donnerstag, 4. August 2016

Ampelzeit

An der Ampel warten,
Menschen zusehen,
Wie sie einander anstarren.
Aus Rot wird Grün,aus Grün irgendwie Gelb,dann gehen.
Zügig die Straße überqueren,
Blechlawinen lauern brummend,
Motoren kläffen.

Montag, 1. August 2016

Gefangen im Montag

So ganz spielte das Wetter heute nicht in ihrer Liga, mal war es zu kalt, dann wieder zu warm. Weste an, Weste aus.
Menschen schlurften an ihr vorbei, Schultern knietief hochgezogen, als würden sie sich in imaginären Mänteln verstecken.
Irgendwie war es schwül, irgendwie kühl und irgendwie montag. Eine Mischung, die sie an bitteren Tee erinnerte, den man zu trinken bekam, wenn man es im Magen hatte. Kamille oder Brennnessel.
Sie verzog das Gesicht, Geschmackserinnerungen aus ihrer Kindheit pelzten ihr die Zunge entlang und kräuselten ihre Mundwinkel. Energisch wie ein ausgelaugter Fisch schüttelte sie den Kopf, um Geschmack und Erinnerung fortzudrängen.
Montag. Erster Tag der Woche. Der Tag nach Sonntag. Der Tag, an dem statistisch gesehen die meisten Unfälle passierten. Oder war das Mittwoch? Auf jeden Fall ein Tag mit "M".
M wie Mordslust und Modebewusstsein, M wie Motivation und Mut.
Sie seufzte, dann kramte sie in ihrem Rucksack wieder nach der Weste und schlüpfte hinein. Das Wetter spielte heute echt nicht in ihrer Liga.

Sonntag, 31. Juli 2016

Ich wollte dich eigentlich anrufen...

Menschen ziehen an uns vorbei, wir streifen Schultern und Handtaschen. Irgendwo duftet es, nach was, weiß ich nicht genau. Vielleicht gedämpfte Karotten mit Ingwer. Oder Aubergine mit Schafskäse, wer weiß. Menschenmassengetrieben unterhalten wir uns, ehe wir im Sog der Gassen untergehen. Fremde Gesprächsfetzen mischen sich mit unseren eigenen, verwirren sich zu einem Kunterbunt aus Worten, Sprachen und Sätzen.
Mal hinter-, mal nebeneinander, eng beisammen oder in einigen Metern Entfernung schlagen wir uns durch das Dickicht aus Leibern und Haaren. Irgendwann ist es Abend geworden, wohin der Tag verschwunden ist, interessiert hier niemanden. Warm steht die Sonnenluft zwischen Häuserreihen, kaum jemand trägt schon seine Jacke.
Ich sehe sie vor mir, lasse sie nicht aus den Augen, in diesem Gewühl würden wir unweigerlich verloren gehen. Ihre Stimme hab ich im Ohr, klangvoll, melodiös. Ich versuche, ihre letzten Worte im Kopf zu behalten, um gleich zu unserem unterbrochenen Gespräch zurückzufinden.
Von einer kleinen Bühne her plätschert Musik zu uns, ein Klassiker, ich kenne das Lied, denke ich. Dabei habe ich keine Ahnung, wie es heißt oder von wem es sein könnte und trotzdem fühlt es sich an, als hätte ich nie was anderes gehört. In Gedanken summe ich den Rhythmus mit, mein Herz ist frei und leicht, unbeschwert und voller Sommer.
"Ich wollte dich anrufen, aber dann habe ich gerade an dich gedacht!"  Sie ist neben mir stehengeblieben, ihr Arm berührt sanft meinen. Ich schaue zu ihr, ziehe die Brauen fragend zusammen. "Mein Bruder schreibt mir das manchmal, wir haben so eine Abmachung..."
Energisch presst sich eine Dame an uns vorbei, schiebt uns ein Stückchen näher zusammen. Wir scheinen im Weg zu stehen, geht mir durch den Kopf. Und wenn schon.
"Was ist das für eine Abmachung?" Ich bin neugierig geworden..
"Ach, eine schöne eigentlich. Wir haben abgemacht, dass wir statt viel zu schreiben oder telefonieren einfach aneinander denken. Ganz unkompliziert."
In ihrem Blick spiegeln sich genau in diesem Moment, in dieser Gasse, auf diesem Kopfsteinpflaster zwischen all den Menschen unglaublich viele Gefühle. Ich genieße es, den Emotionsregenbogen eine Sekunde ungestört beobachten zu können, ehe er erloschen ist und Umgebung und Realität sie wieder eingeholt haben.

Donnerstag, 28. Juli 2016

Urban I

In Stadtwiesen nach vierblättrigem Klee suchen, Glück finden.
Unglück mindern, die Nase im Wind des morgendlichen Flussaromas.
Kühl kitzeln Regentropfen  Fußknöchel, abgestreift von Grashalmen.
Glücks(klee)flächen zur Selbstbedienung und to go.

Montag, 25. Juli 2016

Lass mich dir den Sonnenaufgang zeigen

Lass mich dir den Sonnenaufgang zeigen, von meinem Teil der Stadt aus ist er noch schöner!
Sagte sie und ihr Blick entschweifte in die Gassen, deren Kopfsteinpflaster so krumm war, dass feine Damen in schnieken Sneakers langsam wie ihre Schatten wanderten, bis sie schließlich im Gewühl der Vorabendstadt entschwunden waren.
Sonnenstrahlen fingen sich auf ihrer Nasenspitze, flüssiges Rosé-Gold, Abendstimmung. Ein paar Haarsträhnen fielen ihr irgendwie in die Augen, wie zufällig wischte sie sie weg und stupste in einer Bewegung ihre Brille wieder ein Stück weiter den Nasenrücken hinauf. Ruhig und entspannt ging ihr Atem, wenn sie sie ganz genau betrachtete, konnte sie den leichten und feinen Puls ihrer Halsschlagader erkennen. Auf ihren Lippen kräuselte sich ein Lächeln, ganz Lebensfreude, ein Hauch Amüsement.
Schelmisch blitzten ihre Augen sie an, als wollten sie von tausend Geschichten erzählen, die gerade erst im Entstehen waren.
Du willst mir den Sonnenaufgang zeigen?
Sie griff nach ihrer Hand, zart süß fühlte sich die Berührung an, die einen Moment prickelte wie Sprudelperlen.
Komm, ich zeig's dir!

Freitag, 22. Juli 2016

Grundlos Lachen

Grundlos Lachen,
dabei verzieht sich das Gesicht
zu einer Grimasse aus Freude.
Grundlos lachen und
der Tag wird plötzlich so viel
schöner, als man geplant hatte.
Ein Lied, eine Erinnerung, ein Wort
und grundloses Lachen
verliert seine
Grundlosigkeit.

Dienstag, 19. Juli 2016

Pixel-Klumpen

Hab ich gerade richtig gehört und sie hat "Pixel-Klumpen" gesagt? Ich starre sie an und bemerke gerade noch im letzten Moment, in dem die Starrerei nicht peinlich ist, dass ich schnell wieder meinen wahrscheinlich leicht dümmlichen Blick von ihren Lippen lösen sollte. Ich schlucke, mein Mund ist ganz trocken. Doch, sie hat "Pixel-Klumpen" gesagt, ich bin mir ganz sicher. Sehr sicher. Vielleicht zu... 65%. Oder so. Ich seufze innerlich, mein Verstand hängt größtenteils immer noch an der Überlegung fest, ob es heute nicht die falsche Entscheidung war, die Bürobluse langärmelig zu tragen. Bei ungefähr 35 Grad Außentemperatur muss doch das innovativste und aluminiumfreiste Deo versagen! Oder? ODER?!
Ich kann dem Drang gerade noch widerstehen, den linken Arm zu heben, um eine Kurzkontrolle in Richtung Achsel zu unternehmen.
Konzentrier dich, sie redet mit dir. Sie redet und redet, Preislisten hoch, Formate wieder runter, als würde sie Klavier mit den Buchstaben und Zahlen spielen und sie zu attraktiven Angebotsmelodien vertonen.
Ich schaffe es, mich zu räuspern, streiche schwitzig eine Haarsträhne hinters Ohr und lausche wieder unkonzentriert ihren Worten.
PIXEL-KLUMPEN?!

Erinnerung aus Eis

Erinnerung an Tage, die staubig waren und an denen man erst dann wieder zuhause sein musste, wenn die Lichter am Abend angingen. Die halbe Nacht auf der Straße sitzen und die Wärme des Asphalts durch den Radlerhosenstoff spüren,  während Fahrrad, Roller oder Inlineskates in der Rinne liegen. 
Die Augen schließen und denken, diese Zeit würde nie enden, nie würden die großen Ferien, sechs Wochen Unendlichkeit, zu Ende gehen. 
Wenn ich tief einatme, schmecke ich noch den süßen, duftigen und leichten Geschmack meines Kindersommers auf den Lippen. Sonnencreme, Planschbeckenwasser mit Fliegenleichen, Barfußlaufen. 
Beinahe kann ich unser Glücksgeschrei noch hören, wir waren unendlich glücklich.
Abends, wenn die Sonne nur noch verwoben durch den Dorfwald schimmerte und die Straßen der Siedlung in Sattgrün hüllte, lagen wir auf der Lauer. Silbermünzen fest in unsren Kinderfäusten, 1 Mark für zwei Bällchen Eis.
"Einmal Zitrone und einmal Schlumpfeis!" 
Cremig und blau genossen wir das Tageshighlight. Versonnen saßen wir auf Mauern und Straßen aufgereiht, barfüßig und dreckig, ohne Smartphone, ohne Internet, ohne WLAN. 
Wir schleckten Erinnerungen aus Eis, die bis heute nicht aus unserem Gedächtnis geschmolzen sind.

Sonntag, 17. Juli 2016

Kalte Tränen

Man steht voreinander, irgendwie wort- und atemlos. Stille umfängt das Schweigen, das vielleicht behaglich und vertraut sein sollte. Blicke streifen über Autos und verlieren sich im Sommerwind, der verheißungsvoll über nackte Knie streicht. Hände berühren sich, Schultern lehnen aneinander, Herzschlag. Im Einklang und doch soweit auseinander, fast schon eine Zeitzone entfernt. Man redet und lacht trocken, Worte lallen lippenlos durch Luft, finden Gehör. Irgendwo riecht es nach Regen, frisch und süß, es kühlt ab. Auf  der Autobahn wird der Verkehr allmählich ruhiger, Feierabendstimmung im Land des rollenden Blechs.
Gedanken verflüssigen sich wie Schokolade in der Sonne. Sie entkommen in kalten Tränen, die langsam an Nasenflügeln hinabgleiten.
Man steht sich gegenüber, irgendwie fremd und doch ungewohnt vertraut.

Dienstag, 5. Juli 2016

Meer gesehen

Manchmal geht man mit offenen Augen durchs Leben, dann wieder sind sie verschlossen und man tappst halbblind durch Gassen und Flure.
Menschen sehen, Menschen wahrnehmen. Sie samt ihrer Probleme und Wünsche, so geheim die auch sein mögen, erkennen, sie ernst nehmen.
Manchmal reicht der Funke einer Ahnung, was einen Menschen beschäftigt, ihn vielleicht bedrückt und traurig macht. Manchmal muss man seinem Gegenüber aber tief in die Augen schauen, um die Firewall zu durchbrechen, die man sich im Alltag so aufbaut.
*
Ich ziehe durch die Straßen der kleinen Stadt, in der ich meinen Wagen geparkt habe. "Drei Stunden gratis parken" versprach der Werbeslogan auf dem Schild - sofern ich das Kauderwelsch Holländisch richtig entziffern konnte. Egal, jetzt steht das Auto da, wo es steht, basta.
Der Wind zieht stürmisch durch die Gassen, Meeresrauschen trägt er an mein Ohr, das Geblubber von Touristen außerdem. Japanisch, Deutsch, Englisch. Zwischendrin erfrischenderweise un petit peu de Francais, je t'aime la diversité culturelle.
Einen Augenblick schließe ich die Augen und höre das Gekicher von Jungmöwen, ganz nahe des kleinen Yachthafens. Sie spielen gemeinsam im Wind, lassen sich treiben und von einzelnen Böen wieder auffangen. Ich beobachte sie kurz, ehe ich weitergehe. Restaurants und Bars reihen sich im Licht der untergehenden Sonne aneinander, sie schmiegen sich in die Enge der Straßen. Autos brettern über Kopfsteinpflaster, übertönen das Möwengekicher und das Rauschen des Meereswindes gleichermaßen. Salzluft setzt sich in meiner Lunge fest, wie Sand in den Rillen meiner Schuhsohlen.

Samstag, 2. Juli 2016

Richtung Meer, Richtung Herz

Seeluft schnuppern, Sand unter den Schuhen knirschen hören - das Meer schon beinahe in greifbarer Nähe. Ich schmecke schon den Salzdunst auf meinen Lippen, lausche dem Branden der Wellen.
Mein Herz schlägt und ich spüre, dass es schon im Einklang mit dem Wind der Küste geht. Ein weites Pochen, das Energie durch meine Adern schießt, ich fühle mich so frei.
Auf die Autobahn, Richtung Meer.

Donnerstag, 30. Juni 2016

Versetzt?

Auf dem Tisch ein Schälchen mit Sommerblumen, violett und blau. Zusammen mit dem Grün der Blätter eine frische und seltsam friedliche Kombination.
Sie sieht auf die Uhr. 19Uhr.
Ungelenk schiebt sie die Armbanduhr den Knöchel erst hinauf, dann wieder dorthin, wo sie zuvor war, ein roter Streifen bleibt.
Ein Kellner tritt an ihren Tisch.
"Darf ich Ihnen schon etwas bringen?" 
Sie lächelt und betrachtet die schwarze Schürze, die sorgfältig um seine Hüfte gebunden ist. Einer dieser Bestell-Computer, neumodisch und irgendwie schick, steckt in der Schürzentasche, sie hat weder Namen noch Begriff dafür. 
"Ich nehme zuerst ein Wasser", nickt sie, "ich erwarte noch jemanden." 
"Sehr gerne!" 
Sie blickt wieder auf die Uhr, 19:13Uhr. 
Hatten sie sieben oder halb acht gesagt? Die Stirn in Falten gelegt zückt sie ihr iPhone, tippt kurz darauf herum und wühlt sich durch ihren Posteingang. 

"Lass uns 19Uhr sagen, dann haben wir länger was vom Abend!" 

Vielleicht steckt er im Stau. Ganz bestimmt steckt er im Stau, und das Handy hat er wahrscheinlich in  der Tasche. Dann kann er ja gar nicht drankommen, um Bescheid zu sagen, dass es ein paar Minuten später wird.
"Ihr Wasser!", der Kellner stellt das Glas, in dem oben auf eine Zitrone schwimmt, vorsichtig auf dem Tisch ab. "Soll ich Ihnen schon mal die Karte..." "Danke, nein, ich warte."

19:20Uhr. Sie sieht sich um. Menschen, in Unterhaltungen vertieft, lagern auf den Stühlen in und vor der Bar. Einige spielen mit den Blumen in den viereckigen Schalen, andere knüllen Servietten zwischen den Fingern. Münder verziehen sich zum Lachen, Wortfetzen und Gesprächsknäuel dringen an ihre Ohren, ohne gehört zu werden.

"Dann haben wir länger was vom Abend!" Sie wiederholt die Worte in Gedanken, irgendwie haben sie einen gewissen Beigeschmack. 

Dieser dämliche Stau...schimpft sie innerlich vor sich hin, bis ihr einfällt, dass es diesen Stau vielleicht gar nicht gibt. 
Vielleicht hatte er einen Unfall, möglicherweise liegt er in diesem Moment in einem Rettungswagen, blutend, verletzt, und sie hat nichts Besseres zu tun, als langsam aber sicher sauer zu werden.
19:24Uhr.
Ein Schluck Wasser säuselt ihr die Kehle hinab, gegen die Trockenheit ihrer Lippen hilft es, die Bitterkeit bleibt.

Sie fährt sich mit den Fingern durch das Haar, das sie extra im Vormittag frisch nachblondiert hat. Es duftet noch nach der Pflegespülung der Blondierung, chemisch-süß nach Mango. 

19:26Uhr.

Er wird nicht kommen. Nicht heute Abend, nicht irgendwann.

Sie atmet tief ein, stößt die Luft langsam wieder aus. 
"Dann haben wir länger was vom Abend."

Das iPhone vibriert in der Tasche, die sie neben sich auf den leeren Stuhl gestellt hat. Ohne wirklich nachsehen zu wollen, beinahe widerwillig, zieht sie das Telefonwunder mit dem Apfel auf der Rückseite heraus.

Dienstag, 28. Juni 2016

CaféGefühl

Ich saß in diesem Café, die Straße rein, gleich links.
Die Armstützen der Stühle luden in Rot leuchtend zum Verweilen ein, die meisten von ihnen standen jedoch noch verwaist.
Vielleicht lag es an der Uhrzeit -es war ja noch früh an diesem Montag-, vielleicht lag es aber auch an der Geschäftigkeit der Menschen.
Sie hetzten vorüber wie getriebenes Vieh, immer in Erwartung des nächsten Peitschenknalls kurz hinter den Ohren. Ein pompöses "Peng!" -eine Email, ein Anruf-, um sie aus ihrem Trott herauszureißen und zu nichtssagenden Höchstleistungen anzutreiben.
In den Augen der Gehetzen spiegelte sich das Wochenende; Begegnungen, Gespräche, Gedanken hingen noch so manifest in Köpfen, als wäre Sonntag erst gestern gewesen.
Ich bestellte einen Milchkaffee, konnte dabei kaum die Augen von dem Treiben abwenden, das an der Kante meiner Nase vorüberzog.
Leben, schoss mir durch den Kopf, hier passiert das Leben.
Es dauerte nicht lange und die Kellnerin -Italienerin, Pferdeschwanz, ganz in schwarz gekleidet, ein kleiner Schriftzug (der Name des Cafés, vielleicht?) zierte in roter Kursivschrift den Kragen der Bluse- brachte meinen Milchkaffee. In einem Glas, normalerweise für Latte Macchiato gedacht, schäumte die aufgeplusterte Milch bis über den Rand hinaus. Mittig ein heller Kaffeefleck, wie zufällig verloren. Sanft stieg mir das Aroma frischer Kaffeebohnen in die Nase.
"Prego!"
Sie stellte das Glas -auf einem schwarzen Unterteller- vor mich auf den Tisch und lächelte mich an.
Ich zahlte direkt, 2,80€, 20 Cent Trinkgeld. Nicht die Welt, eher eine Geste, aber es war ja auch noch früh an diesem Montag.
Ihr Danke klang leicht und frei in meinen Ohren, ich mochte sie.
Polternd raste ein Kleinlastwagen an mir vorbei, zog meine Aufmerksamkeit wieder intensiv auf das Leben und die Geschäftigkeit der Straße.

Während ich an meinem Milchkaffee nippte -der Schaum kitzelte in der Nase- fuhr ein Auto der Müllabfuhr vorüber. Die Männer auf den Seitentritten unterhielten sich fröhlich, Scherze flogen hin und her, füllten die Straße, wie mehr und mehr Gäste das kleine Café, vor dem ich saß.
Leben, schoss mir wieder durch den Kopf und ich musste lächeln. Ich genoss die Geschäftigkeit der Gasse, verliebte mich geradezu in das Treiben, das vor meinen Augen geschah und von dem ich -für den Augenblick- kein Teil war.