Donnerstag, 27. Oktober 2016

In guten wie in schlechten Zeiten

Wunderschön sah sie aus! Ihre Haare trug sie dezent in einer Hochsteckfrisur, eine Haarklammer glitzerte beinahe schüchtern zwischen den dunklen Strähnen hervor. Das Make up war natürlich, ihre Lippen gerade so viel rot, dass sie zart leuchteten. Ihr Budget war knapp bemessen, so hatten sie sich kein aufwendiges Brautkleid leisten können. Es stört mich nicht, hatte sie gesagt und das beigefarbene Kostüm an sich gedrückt. Hauptsache wir schreiten als Braut und Bräutigam vor den Standesbeamten.
Wie glücklich war er in diesem Moment gewesen, wie stolz war er auf seine wundervolle Braut, die er so sehr liebte!
Ihr Anmut und ihre einfache Eleganz ließen ihn jedes Mal sprachlos werden. Wenn sie sprach konnte er sich in den Bewegungen ihrer Lippen verlieren, als würde sie Zauberformeln aufsagen und ihn damit verhexen.
“Ja, ich will!” Drei magische Worte, die Tränen des Glücks über seine Wangen strömen ließen. Er zitterte am ganzen Körper, sein geliehener Anzug schlotterte ihm um Knie und Taille und als er ihr Gesicht in beide Hände nahm war ihm, als hielte er den Goldenen Gral. Zuckersüß und wie Sonnenschein an einem hellen Sommertag schmeckte ihr Kuss. Warm und weich waren ihre Herzlippen, die sich seinen hingaben und ihm die beiden schönsten Geschenke  machten, die er sich je hatte vorstellen können: Liebe und Glück. 

Montag, 24. Oktober 2016

Sie schämt sich

Menschen strömen an ihr vorbei, der ein oder andere wirft ihr vielleicht einen Blick zu. Oder auch zwei, je nachdem.
Sie schämt sich. Für das, was sie ist. Für das, wofür sie steht. Sie schämt sich, wie sie auf dem Boden sitzt, einen Pappkarton unter dem Po, ein Kaffeebecher vor ihren Knien. Die rechte Hand nach vorne gestreckt, hin und her wippend, ein Flehen in den Augen. 

Der Morgen lief gut. Sie überlegt kurz, welches Datum wohl dick in den Kalendern der Geschäftsmenschen steht, die Aktentaschen schwenkend an ihr vorüber hetzen. Wahrscheinlich gab es vor ein paar Tagen Gehalt, denkt sie, während sie wie in Trance den Rotz unter ihrer Nase wegwischt. Natürlich mit dem Ärmel ihrer viel zu fadenscheinigen Jacke, die noch nicht einmal der ersten Herbstkälte Ende August standhalten konnte.
Zehn Euro und ein bisschen was zählt sie aus den Augenwinkeln in ihrem Kaffeebecher zusammen. Ungehört dringt ein Seufzen aus ihren Lippen, verhallt tonlos zwischen grauen Wolken und den Häuserfronten der Einkaufsmeile.

Ihr Bein kribbelt, irgendwie ignoriert sie es, weil sie weiß, der Schmerz, wenn es wieder wach wird, wird umso schlimmer sein. Alltägliche Mühen, geht ihr süßlich durch den Kopf. Bilder von Familienidylle, Sonntagmorgenfrühstück und Friede-Freude-Eierkuchen folgen.

Grau. Grau ist der Regen, der auf die Sraße platscht und sich in Pfützen sammelt, um unangenehm als Spritzwasser  unter Stiefeln und Sneakers hervor zu watschen. Es müffelt  nach nassen Hunden, durchweicht nach Socken und irgendwie abgestanden nach Stadt.
Sie verzieht das Gesicht und schaut einer jungen Frau dabei zu, wie sie versucht, Coffee to go, Regenschirm und Smartphone samt Kopfhörern zu koordinieren. Selbst als sie weg ist, folgt ihr Blick dem schwarzen Mantel durch den grauen Tag, ihr Hüftschwung erinnert sie ein wenig an sie. Damals.

Münzen klirren, Metall auf aufgequollener Pappe, eher ein Ploppen. Sie sieht auf, Gestalten, unförmig in Jacken gehüllt, beugen sich zu ihr, reden mit ihr. Reden mit ihr? Vielleicht. Oder doch nicht. Sie weiß es gar nicht, erkennt nur, wie Münder sich öffnen und schließen. Ob Worte herauskommen und die an sie gerichtet sind... Sie nimmt den Unterschied schon lange nicht mehr wahr.
Von ferne hört sie, wie ihre eigenen Lippen Wortklumpen hervorwürgen, in der Sprache, die sie verabscheut.

Sie schämt sich, und streckt der Stadt voller Trotz die wippende Hand entgegen.

Sonntag, 23. Oktober 2016

Hörst du?

Hörst du den Wind ums Haus schleichen?
Hörst du die Katze des Nachbarn Mäuse jagen?
Siehst du den Nebel am Morgen, der sich sanft aus Baumwipfeln erhebt?

Hast du mal vom Morgentau gekostet, der glasfarben auf Wiesen glüht?
Erinnerst du dich noch wie es als Kind war, das erste Mal im Sommer barfuß über den Asphalt zu laufen?
Schmeckst du noch lieblich Zuckerwatte vom Jahrmarkt auf deinen Lippen?


Donnerstag, 20. Oktober 2016

Artcore

Konzentriert, mit ruhigem Atem und stetem Blick surrt leise die Maschine unter seinen Händen. Winzig sind die Nadeln; ihr Vibrieren geht unter die Haut. Zusammen mit Blau, Schwarz, Grün und vielleicht einem Hauch Rot, eher Sonnenuntergangfarben.
Behutsam, wie ein Künstler über seine Leinwand, streicht er über sein Werk, seine Spielwiese.

Linien, Muster, Flächen, Farben. Seiner Fantasie entsprungen, irgendwoher geschenkt. Woher genau weiß er vielleicht selbst nicht, eine Gabe.

Er hält einen Moment inne, betrachtet seine Arbeit. Outlines, Inlines, Impro.
In der Rechten die Maschine, sein Pinsel, in der Linken ein farbgetränktes Zewa – Wisch und Weg. Der Farbüberschuss hinterlässt Schlieren, wie Autoreifen auf Asphalt.

Sein Bart ist schwarz und gepflegt, in den Haaren, die unter seiner Mütze hervorschauen, schimmert ein Glanz in Braungold mit. Nasenring und Tunnels in den Ohren passen zueinander – schwarz, matt, unmarkant.

Geht‘s? Sorry, ich mache das nicht mit Absicht, das ist halt einfach so...“ Irgendwie spielt um seine Mundwinkel trotzdem ein Lächeln – sympathisch.

Das Surren zieht sich durch Raum und Stunden, wie das Ticken einer Uhr, einprägsam.
Wie die Farbe, die Millionen seiner Nadeln unter Haut stechen.

Ein Kunstwerk, bezahlt mit Blut und Schmerz – Farbe für Blut.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Im Regen zu tanzen

Herbstwind streicht mir durchs Haar, hinterlässt Gänsehaut auf meinen Wangen. Ich lächle der Sonne entgegen, die alles warm in Licht taucht, meine Augen blendet und irgendwie auch meinen Blick trübt.
Für eine Sekunde schließe ich die Augen, atme tief in den Herbst hinein. Irgendwann, zwischen April und Juli ist Oktober geworden.
Goldener Oktober, denke ich, während mir das Gestern durch den Kopf geht.

Schmuddelwetter, Regen, Dunkelheit. Den Tag über war es nicht wirklich hell geworden, ungemütlich und braungrau.
Beim Blick aus dem Fenster tanzten Schirme wie Konfetti durch die Straßen, Menschen patschten missmutig durch Regenpfützen.

Ich öffne die Augen wieder, Sonnenreflexe in den Augenwinkeln. Kühl ist es, der Duft von frischgeröstete Maronen dringt an meine Nase.
Um mich herum treibt Hektik Menschen voran; mit Tüten und Sorgen beladen ziehen sie an mir vorbei, verkrampfte Gesichter.
Irgendwie freudlos.
Aus ihrer Menge steche ich hervor. Eine Insel Mensch im Schneidersitz auf einer Parkbank im Stadtzentrum.
Blätter fliegen quer über Hauptstraßen, braungelb, ein Hauch Grün ist noch in ihnen. Ehe sie auf der Windschutzscheibe eines LKWs landen, sehe ich ihnen nach, beobachte kurz ihr Spiel im Wind.
So leicht wie das tanzende Laub fühlt sich mein Herz an. Warm und sonnig, als würden Sonnenstrahlen es umwinden, mir den Sommer in Körper und Gedanken zaubern.

Lass mich singen, lass mich tanzen, tirillieren Frühlingsstimmen in meinem Kopf.

Ich atme mit dem Wind, fliege mit den Blättern und schicke mein Herz auf eine Reise.
Zu ihr.
Zu ihr allein, wo Sommer herrscht, wo Sonne Haut wärmt und eine Brise lau über meine Haare streicht.

Regentropfen, kühl und nass, unterbrechen meie Herzreise - für einen Moment. Ich schaue auf, um mich herum ist es leerer geworden, Regenschirmkonfetti sprenkelt sich hier und da schon durch die Straßen.

Ein Lächeln spannt sich über mein Gesicht wie ein Regenbogen sich glänzend über Wälder und Dörfer spannt. Ich kehre zurück zu ihr, zu meinem Herzen voller Sommer.

Erst als der Regen strömt, erhebe ich mich, langsam, um im Takt der Regentropfen unter den dunkelhellen Wolken zu tanzen.

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Song of the day

Der Hauch einer Melodie, vielleicht kombiniert mit ein paar Zeilen Text. Flüchtig im Autoradio aufgeschnappt, zwischen Ampelrot und Zebrastreifen, kaum hingehört. Doch gerade genug, um diese wenigen Worte nicht mehr aus dem kopf zu bekommen. Lippen schnurren lautlos Silben, Gedanken lauschen dem Text. Unvollständig und lückenhaft, wie ein verloren gegangener Liebesbrief. Ohne Adressat, ohne Ziel, ohne Sinn.
Das Netz durchforsten nach den Songzeilen, die Karussell fahren, immer rund und rund, ohne anzuhalten. Quietschend versagen die Bremsen, bis plötzlich - Erlösung.

Google zeigt 1.234.567 Ergebnisse an, der Song aus meinem Kopf ist Ergebnis Nr. eins.
Ich tippe irgendwie zittrig Interpret und Songtitel bei YouTube ein, halte eine Sekunde die Luft an, als das Verbindungsrädchen dreht. Videovorschauen ploppen auf meinem Display auf, wieder ist es Ergebnis Nr. eins.  Kaum geklickt ertönt die Melodie meines Kopfsongs, nach den ersten Takten nuschelt der Sänger die Worte, die mich den ganzen Tag begleitet haben.
Ich atme auf - kann sie endlich in einen Kontext einordnen, sie in ein Großes und Ganzes fügen, als hätte der verloren gegangene Liebesbrief doch noch seinen Empfänger erreicht.