Mittwoch, 25. Oktober 2017

Kursiv

Dunkelheit umgab sie, zusammen mit Rauch, der in Kringeln um ihren Kopf aufstieg. Irgendwo gluckerte es, Wasserrohre. 
Jedes Geräusch ließ sie zusammenzucken, selbst ihr eigener Atem sorgte für Gänsehaut, die sich ihr tief in die Magengrube einpflanzte. Wann war es Abend oder sogar Nacht geworden?
Sie tippte auf das iPhone auf dem Tisch vor ihr, sein Leuchten schmerzte in den Augen und sie musste blinzeln. Kurz nach Mitternacht. 
Seit wann saß sie hier? Ihre Finger waren taub vor Nässe und bebten vor Kälte. Vergeblich versuchte sie, sich am Zigarettenstummel zu wärmen. 

Irgendwo in der Ferne konnte sie einen Lichthauch erkennen, unwirklich und unnahbar. Eine Familie, die über einem Spieleabend die Zeit vergessen hatte. Menschen, die miteinander diskutierten oder vielleicht gerade von der Spätschicht  nach Hause gekommen waren. 
"Hallo Schatz, ich bin daheim. Wie war dein Mittag?" 
Floskeln, die zwischen Kühlschranktür und Feierabendschnaps hin- und herflogen und die Beständigkeit eines Schneemanns im Sommer hatten. 
Sie seufzte und zog die Beine auf dem Gartenstuhl näher zu sich heran. Deutlich konnte sie den Herbst spüren, der schon fast im Begriff war, zum Winter zu werden. Zart wippte sie hin und her, nagte an der Unterlippe, auf der noch ein Rest des schokoladenfarbenen Lippenstiftes war, den sie heute Morgen aufgelegt hatte.
Heute Morgen. 
Wann war das schon?

Stunden waren vergangen, seit... Ja, seit wann eigentlich? 

Sieh hin, sieh es dir an! Etwas Kleines, aber unheimlich Lautes in ihrem Kopf zwang sie, den Blick nach unten zu richten. Obwohl sie so viel lieber weglaufen und sich irgendwo verstecken wollte, blickte sie nach unten. Schmerz durchfuhr sie ruckartig, sie rang nach Atmen. Rang nach Leben, wie die Kreatur unter ihr noch vor wenigen Minuten. 
Schau genau hin, was kannst du sehen?
Halt die Klappe, sei still! Kein Ohrenzuhalten der Welt konnte ihr helfen, kein Zähneknirschen, kein Brüllen. 
Sollten ihre Augen sich nicht mit Tränen füllen und sollte sie nicht eigentlich Angst und Scham, vielleicht Reue empfinden? Bitterkeit stieg in ihr hoch, vergiftete ihre Gedanken und ließ sie kalt lächeln. 
"Dein Wimmern war...erbärmlich!",stieß sie zwischen ihren Schneidezähnen hervor, die so fest zusammengepresst waren, dass ihr der Kiefer wehtat. 
Sie stupste das Bündel vor ihr mit dem rechten Fuß an, es gab unter der Berührung leicht nach. Das Schnauben, das ihr entrang, war verächtlich. 
"Du hast gedacht, dein Betteln würde dir helfen!? Du hast wirklich gedacht, ich würde meine Meinung ändern, nur weil du `Bittebitte` gewinselt hast?" 
Unruhig ging sie auf und ab, an ihrer Fußspitze klebte eine Mischung aus Staub, Blut und Wut. 
Beinahe bedächtig schloss sie die Lider, sah weiße Blitze vor sich und dunkelgrüne Mandelaugen, die sie angsterfüllt anstarrten. Mandelaugen, kalt und regungslos, verloren in Ausdruck und Gedanken. 
"Fick dich!", hatte sie gehaucht als sie mit ihrem Messer weiße Haut durchtrennte. Sanft und leicht war die Klinge durch Gewebe und Hautschichten geglitten, hatte Fasern zerschnitten und Hoffnungen zerstört. 
"Zeig mir dein Lächeln", ihre Stimme war ruhig und erregt vor Freude gewesen, ihr Werk zu Ende zu bringen. Ihr Werk. Ihre Arbeit. Ihr Stolz. 

Erst als Blut quoll und sich mit Staub zu einer Masse verband, war sie zu sich gekommen. Hatte auf das Messer in ihren Händen geblickt und auf das Menschenknäuel, das sich zu ihren Knien zur Seite krümmte. 
"Fuck!" 

Stundenlang hatte sie neben dem toten Körper gesessen, gekniet, gelegen. Ihren Kopf auf die Brust gelegt, die sich nie wieder heben und senken sollte, um frische Sommerluft nach einem Winter voller Schnee und Glühwein einzuatmen. 
Narzissenschwer war ihr Herz für den Bruchteil eines Augenblicks geworden. 

Sie zündet die letzte Zigarette an, die sie in dem John Players-Päckchen finden kann, das seine besten Zeiten bei weitem hinter sich hat. Der blaue Dunst in der Nachluft tanzt mit dem Mondlicht und sieht gespenstig und mild aus. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht und sie zieht die zerschlissene Wolldecke fester um ihren Körper. 


Montag, 14. August 2017

Leuchtturm

Städte liegen uns zu Füßen 
auf unsrem Roadtrip, 
wir bezwingen Meer und Wind und Sand. 
Wir tauchen ein in Wunderwelten 
und Extrema.

Während wir handverschlungen 
durch Amsterdams Straßen flanieren, 
feiern wir uns. 
Hinein in den Sonnenuntergang, fünfundvierzig 
Minuten Bibliotheksruhe genießen, 
Ausblick vom Dach. 

Meerduft folgt uns, 
wohin unser Weg auch führt.
Ich schaue sie an, vollendet glücklich, verliebt,
während ihre Augen fest auf die Straße gerichtet sind.

Unterwegs Richtung Freiheit, 
Unterwegs Richtung Glück. 


03.08.2017 

Freitag, 24. März 2017

Seifenblasen in der Stadt

Ich lief Seifenblasen pustend
durch  Stadtstraßen und beobachtete,
wie der Tag unterging.
Längst waren goldene und blaue Stunde
vorübergezogen, Menschen
schalteten Lampen und Lichter
in Zimmern und Kammern an.

Abendbrotzeit,
Beisammensitzen und Stunden Revue
passieren lassen.
Zusammensitzen und streiten.
Zusammensitzen und Probleme wälzen.
Zusammensitzen.
Oder alleine auf einer Couch,
vollgestopft mit Kissen und 
Einsamkeit.

Der Duft nach Frühling überwältigte mich
und zerblies meine Seifenblasen.
Sie verteilten sich in alle Richtungen,
zerstreuten sich und mich,
Straßenlaternen spiegelten sich in
Seifenlauge.
Während Autos meine Seifenblasen
hin und her tanzen ließen,
zog ich weiter.

Hinauf auf das höchste Dach,
hinein in den tiefsten Keller,
wo mochte die Aussicht besser sein?
Ich war neugierig und müde,
als ich um die Ecke bog.

Donnerstag, 16. März 2017

Eis isst man im Sommer.

Die Blumen und Pärchen
in Park und Anlagen irritieren mich, 
während Eis auf Haut tropft.
Eigentlich mag ich kein Eis, 
es ist kalt und nass und klebrig, 
zu süß für diese Jahreszeit.

Eis isst man im Sommer. 
Wenn Sonne vom staubgetrockneten 
Himmel knallt und es in der Straße 
zum Freibad hin nach tausendfach getrocknetem
Badezeug duftet. 
Wenn der Eismann abends, 
pünktlich um halb sieben vor der Haustür
klingelt und Kinder wie Erwachsene
Geld in die Höhe strecken, um 
Eine Kugel Vanille und einmal Schokolade, bitte!
freudig aus dem weißen Lieferwagen
heraus in Empfang nehmen.

Eis isst man im Sommer.

Wenn Schwalben wie 
Kamikaze-Flieger Manöver 
über Biergartengästen fliegen, 
wenn Glühwürmchen sich zärtlich
ihre Liebe geschehen 
und wenn in der Luft, 
zusammen mit unendlich fein gewebten Spinnen-
netzen ein Hauch Staubigkeit 
vermischt mit 
Sommergewitter liegt.

Der Tropfen Zitroneneis läuft mir
übers Handgelenk, 
träge schlecke ich 
ihm hinterher.
Ein Hund bellt in der Dämmerung.

Dienstag, 7. März 2017

Schneeglöckchen

Zwischen Schneeglöckchen, Erdklumpen und Eiskruste sudelte das Blut auf den Boden, das aus der gierenden Wunde zwischen ihren Schulterblättern quoll.
Zäh und langsam quälte es sich den Rücken hinab, hinterließ eine fragezeichengeschwungene Linie, die sich einem roten Faden ähnlich sogar über das Schneeglöckchenweiß erstreckte.
Sie würgte trocken, Tränen schossen ihr dabei in die Augen, wahrscheinlich das erste Mal.

"Du kannst mich mal!", ihre Kehle brachte nicht mehr heraus als ein Keuchen, das an das erstickende Schuhu einer Schneeeule erinnerte.

Er sah sie an, lange und irgendwie intensiv. Voller Gefühle, die sie nicht zu deuten wusste. Waren es Wut und Zorn? War es Trauer? Enttäuschung?
Während er zermürbend langsam den Kopf schüttelte, versuchte sie sich auf das Wesentliche ihrer momentanen Situation zu konzentrieren.

Wo war sie? Irgendwo in der Pampa, im Nirgendwo.
Kein Handyempfang,vermutete sie, wenn sie Glück hätte, GPS.
Wieso war sie hier? Ihr Kopf ratterte alles herunter, was er an Information über die letzten...acht, oder waren es neun? Stunden finden konnte.
Disco, Club, zu viel Alkohol - Fetzen, die ihr blitzlichtartig durch die Gedanken zogen und mit denen sie doch so wenig anfangen konnte.
Sie waren tanzen gegangen, wollten ein wenig feiern und ihren Spaß haben. Spaß.
All das schien ihr Jahre weit weg, gerade gab es nur sie, ihn und das Blut, das literweise aus der Klaffwunde auf ihrem Rücken sprudelte. Sie blickte unter sich und sah die rotgesprenkelten Schneeglöckchen.
"Scheiße!", entfuhr es ihr.

"Wunderschön, sehen sie aus, nicht wahr?"
Seine Stimme war ruhig und kratzig, hatte einen Hauch Monotonie an sich, der sie anwiderte. Zu viel Selbstverständlichkeit, zu viel Alltag.
"Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!"

"Einen Scheißdreck werd ich tun, du Monster!" Obwohl sie am ganzen Körper zitterte, kamen die Worte laut, deutlich und selbstbewusst zwischen ihren Lippen hervor.
Sie versuchte sich aufzurichten, bei jeder noch so kleinen Bewegung schienen sich abertausende Messer zwischen ihre Schultern zu bohren.

Stunde um Stunde zog an ihrem Auge vorbei, ohne dass sie sich richtig oder überhaupt daran erinnern konnte. Was war geschehen nachdem sie im Club angekommen waren?

Um sie herum Musik, mit der man Zimmerpflanzen zum Eingehen brachte und Kakteen sterben lassen konnte.
"Wer von euch wollte eigentlich hierher kommen?"
Worte, die leichtfüßig zwischen ein paar "Prost" dahingesagt waren.
Irgendwer hatte sie von hinten gegen einen ihrer Kumpels geschubst, eine Sekunde lang hatte sie dabei in ein Gesicht sehen können, ohne sich jedoch zu merken, wie es ausgesehen hat.
Ein Allerweltsgesicht, nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches.
Ein Mann mit Dreitagebart und stumpfen Augen. Vielleicht zugedröhnt, vielleicht auch nur betrunken oder am Nachdenken.
Sie hatte ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt, war zu sehr damit beschäftigt gewesen, mit ihren Kumpels Blödsinn zu machen.

Jetzt kniete sie auf der Erde, während ihr Blut die weißen Schneeglöckchen befleckte und sie schuldig aussehen ließ.




Sonntag, 5. März 2017

Zuhause in der Dunkelheit

Weit weg ihre Gedanken, als sie im Hier und Jetzt 
den Regen auf ihrer Haut spürt.
Die Tropfen tanzen in der Dunkelheit, 
die sie so vollständig umgibt und in der sie sich so zuhause fühlt. 
Zuhause in der Dunkelheit. Sie lächelt.
Nikotin brennt auf ihren Lippen - 
bitter, befreiend.
Noch ein Zug, ehe die Zigarette
verglimmt.
Im Wald hinter dem Haus 
fauchen Bäume im 
winterlichen Wind, 
sie singen und zischen, 
Äste knurren, 
ab und zu kann sie ein Käuzchen
hören. 
Zuhause in der Dunkelheit. 
Schauer kriechen ihr als 
Gänsehaut den Rücken hinunter.
Bin ich hier? Bin ich ich? 
Wo bin ich?
Ein Regentropfen platscht auf den
bloßen Arm und
hinterlässt Feuerbrennen.
Es ist Nacht, denkt sie, Schlafenszeit.
Kann ich mich verlieren, 
wenn ich schlafe? 
Sie schüttelt den Kopf. 
Mehr, um Gedanken zu vertreiben, 
als um eine Antwort auf 
ihre eigene rhetorische Frage 
zu finden.
Ich möchte die Dunkelheit umarmen, 
mich in ihr wohlfühlen, 
sie zu meinem Zuhause machen. 
Wortfetzen, die sie mit Angst erfüllen, 
obwohl sie aus ihr selbst kommen.
Zuhause in der Dunkelheit.


Donnerstag, 2. März 2017

Long Way down

Ihre Hand zitterte kaum noch, als sie nach dem Smartphone in den Tiefen ihrer Jeanstaschen kramte. Um sie herum flirrte die Luft im Wind, der sich seit einigen Stunden hartnäckig am Festsetzen war. Sie zuckte ein wenig zusammen, als die Fingerspitzen das Metallgehäuse des Mobiltelefons berührten.
Ein Blick auf das Displayfeld genügte ihr.
Wie wild blinkte die Benachrichtigungsleuchte, aggressiv in Cyanblau. Eine Pop-Up-Nachricht öffnete sich ungefragt und erhellte das  Schwarz des Displays.

"Alles gut bei dir?"

Sie schnaubte, leise, aber aus tiefster Überzeugung heraus, ehe sie das Fenster wegdrückte.
Alles gut. Alles gut?

Kurz zögerte sie, spürte, dass ihre Gedanken sich zusammenzogen wie dunkle Wolken es kurz vor einem Gewitter tun.
Eine Windböe vertrieb ihr heraufziehendes Gedankenunwetter jedoch, sie hatte ihr Gewitter bereits hinter sich.

*

Hektisch fing sich ihr Atem in der Maske, die sie sich über Mund und Nase gezogen hatte. Wozu eigentlich? Vielleicht wollte sie nicht erkannt werden, vielleicht ertrug sie den Gestank auch nicht. Einerlei, dachte sie und schmunzelte über ihre Wortwahl.
Für eine Sekunde ließ sie den Blick durch den Raum wandern, versuchte, ihn nicht mit ihren eigenen Augen zu sehen, sondern mit seinen.
Mit seinen dunkelgrünen Augen, die weit geöffnet waren und in denen Tränen funkelten. Die Augenbrauen  schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben, abwechselnd hoben und senkten sie sich, möglicherweise im Gleichklang zu seinem Atem.
Belustigt, beinahe spöttisch sah sie auf ihn hinab. Kalt blitzten ihre Augen, um ihre Mundwinkel zuckte ein Lachen, wirr, irgendwie verrückt.
"Niemand hätte das gedacht, nicht wahr?" Rau hallten die Worte in der Dunkelheit wider, halfen ihr, sich wohlzufühlen.
"So sieht man sich wieder, in alter Frische, wie man so schön sagt."
Er versuchte dem Griff ihrer Hand in seinen Haaren zu entkommen - es war nicht mehr als das Winden eines Regenwurms auf dem Trockenen.
"Du magst doch Sprichwörter, mochtest du doch immer!" Sie hauchte es fast in sein Ohr, ihre Lippen berührten dabei sein Ohrläppchen. Wieder zuckte er zurück, sein Atem ging deutlich schneller, Würgelaute drangen aus seinem Mund.

"Was habe ich dir getan?" Ein Winseln, ein Flehen, ausgestoßen, um das erbärmliche Leben zu retten, auf das er so stolz war.

Sie lachte, laut und böse, der Griff in seinen Haaren verstärkte sich, sie riss seinen Kopf nach hinten, zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen.
"Du hast mir mein Leben zerstört!"
Brutal ließ sie das Haarbüschel los, das sich zwischen ihren hungrigen Fingern verlockend angefühlt hatte.

"Du hast mein Leben zerstört und dafür", sie flickte eine Kunstpause in ihre Worte, "wirst du nun büßen!"

*

Das Handy in ihrer Hand vibrierte, es schien ein Anruf zu sein, das Summen wollte nicht enden und war kurz davor auch  die letzten  funktionierenden Nerven zu ruinieren, die sie noch hatte.
"Was?", blaffte sie nach einer kurzen Wischbewegung in das Smartphone.
"Wieso reagierst du nicht auf meine Nachrichten?" Die Stimme am anderen Ende war aufgeregt und schien sie durch die Leitung stehenden Fußes in den Boden stampfen zu wollen.
"Du  bist nicht mein Kindermädchen!" Sie war kurz angebunden, wozu sollte sie sich rechtfertigen? War sie irgendwem auch nur einen Hauch Irgendwas schuldig?
"Ich hab mir Sorgen gemacht!" "Und ich hab dich nicht darum gebeten, dir Sorgen zu machen!" Keine Nähe, keine Wärme zulassen. Emotionen außen vor lassen.
Sie wusste was geschehen konnte, wenn sie sich auf ihre Gefühle verlassen wollte.

*

Einmal, zweimal hatte sie schon zugeschlagen, hatte sie ihrer Wut, all ihren aufstrebenden Emotionen freien Lauf gelassen. Sein Geschrei war süßer als jede Melodie, die sie zuvor in ihrem Leben gehört hatte.
"Schrei nur, schrei, und sing mir das Lied vom Leid!"
Verrückt und psychopathisch war ihr Lachen, während Blutfetzen und Hautbrocken auf ihren Kleidern kleben blieben.
"Du verdammte Schlampe!", röchelte er heiser und fing an, sich zu übergeben.
Ein Quell aus frischem Blut sprudelte zwischen seinen Lippen hervor, es erinnerte sie an diese kitschigen Springbrunnen in penibel gepflegten Parks, wo Menschen pseudo-glücklich allsonntäglich ihre Hunde und Gatten hin ausführten.
"Du hast mir Alles genommen, alles, was mir in meinem verfickten Leben was bedeutet hat! Du hast sie mir genommen, dafür wirst du sterben!"
Ihr Herz bebte, ihre Lungen brannten und sie konnte sein Blut trotz der Maske auf ihrer Zunge schmecken. Bitter und kalt, wie Rache serviert werden sollte.
Sie sah auf ihre Hände hinab, in denen sie das kleine, leichte Beil hielt.
7,99Euro hatte es gekostet, "Küchenbeil" hatte auf der Rechnung gestanden und in seinem Blau-Gelb erinnerte es eher an einen zu lang geratenen Minion, anstatt an ein Werkzeug, das den Tod im Gepäck hatte. Es wog nicht viel in ihren Händen, passte sich an die Handanatomie geschmeidig und angenehm an. Sie würde keine Blasen davon bekommen, selbst wenn sie längere Zeit damit hantieren müsste.
Rachlust, gepaart mit Mordwillen - herrlich diese Kombination, die in Verbindung mit ihrem inneren Psychopathen nahezu grenzenlos war.

Als würde sie zu einem   Matchball beim Tennis ausholen, schwang sie das Beil, die schneidige Klinge blitzte mit ihren Augen um die Wette. Dunkelrot auf Metall - ein befreiender Farbverlauf.

Sein Schrei war überwältigend und enorm, als die Beilklinge ihm den Schädel spaltete.
Hirnmasse mit Blut verteilte sich auf dem Staub des Bodens, ein dunkler Brei, der sich tief in seinen Untergrund fressen würde.

*

Während die Stunden vorüberzogen, prägte sie sich jedes Detail, jede Kleinigkeit, jedes Dreckkrümelchen genau ein, um es später jederzeit wieder abrufen zu können. Sie lehnte am Geländer der Brücke, die über den Fluss aus der Stadt hinaus führte. Obwohl sie auf die Wasseroberfläche starrte, nahm sie nicht wahr, was sie sah.
Auf ihren Lippen blühte wunderschön das erfüllende Lächeln von Wahnsinn und Rache.

Mittwoch, 15. Februar 2017

Zartleicht

Pastellfarben schleicht der Mittwochmorgen sich
in die Gemüter der Menschen, die so mutig waren,
in den minus zwei Grad Celsius  kaltenTag zu starten.
Zärtlich gefroren sind Autoscheiben,
die Nacht hat mit Kristallfingern
Eisgespinste darauf gemalt -
Kunstwerke, deren Einzigartigkeit durch
Sonnengold zerstört wird.

Während langsam die Stadttauben ihr Gefieder im
Flusskühl erfrischen, ziehen sich die täglichen Blechkarawanen
durch Asphaltkurven, Stoßstange an Stoßstange.
Busse parken wie Lastkähne in den Wellen des Morgens,
der über ermüdet schauende Fußgänger hinweg schwappt.

Halb abgestanden, halb ausgehaucht duftet der
Morgen zwischen Häusern und Gassen,
wo Obdachlose in Wohnungseingängen
ihr Dasein fristen.
Oder die Nacht verbringen,
Ansichtssache.

Erste Sonnenstrahlen kitzeln Nasen,
eine Krähe fegt im Tiefflug über den Verkehrsknoten,
der sich im Herzen der Stadt
verworren hat wie ein altes Wollknäuel.

Dienstag, 24. Januar 2017

Gleis-Bett

Sein Blick schweift durch die Dunkelheit, in der er gerade noch Umrisse und Schemen erkennen kann. Schatten, die sich vor ihm verbergen, in seinen Gedanken wühlen und wüten. Ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. 
Nie.
Die Schatten seines Lebens... 
Er seufzt, als er an der kalten Zigarette zwischen den längst eingefrorenen Fingerspitzen zieht. 
Für eine Sekunde schließt er die Augen, schmeckt bitter Nikotin auf seinen Lippen und spürt Winterwind auf der Haut. 
Um ihn herum passiert das Leben, der Alltag. Menschen auf ihrem Heimweg stoßen an seine Schultern, nuscheln Entschuldigungen und eilen weiter. Dem nächsten unwichtigen Termin entgegen, zu der übernächsten Verabredung, um belanglos Kuchengabeln voller Kaffeestückchenkrümel in Münder zu schieben. 
Als er die Augen wieder öffnet, schwankt er für einen Moment, gerade lange genug, um den Bruchteil einer Sekunde zu füllen. Eine Ewigkeit. 
 *
Die Ansage am Bahnhof knurrt unhöflich, wirklich zu verstehen ist sie nicht. 
Schlecht gelaunt, oder was?, denkt er und muss beinahe grinsen. Beinahe. 
Ehe das Lächeln überhaupt die Chance hat, zu seinen Lippen, seinen Mundwinkeln vorzudringen, fallen Gedanken wie Harpyien über es her. Sie zerfleischen es, zerfetzen jeden noch so winzigen Funken Lachen. Sie löschen es aus, als hätte es nie existiert. 
Hat es denn jemals existiert? Er kneift die Augen ein wenig zusammen, legt die Stirn in Falten, versucht sich daran zu erinnern ob er irgendwann in seinem Leben einmal ehrlich gelächelt hat.
Als Kind vielleicht... Unbeschwert und frei. Frei sein, Freiheit, frei.
Von Sorgen und Ängsten. Von Hoffnungen und Befürchtungen. Frei von den Dämonen, die aus ihm selbst kommen und ihm... all diese Dinge antun. 
Diese Dunkelheit aus ihm selbst ist es, die ihm heute am meisten Angst macht. Bitter und kalt schleicht sie sich in seine Adern, verbreitet Nebel und Kopfschmerzen, setzt sich in seinen Gliedern fest, gräbt ihre Krallen tief in seine Magengrube.
Schwarz trieft sein Herz, wie die Lunge eines starken Rauchers. 
*
Kalt liegt das Metall der Schienen im Gleisbett. Züge rollen so tonnenschwer darüber, wie seine Seele in seinem Körper wohnt. 
Der Schotter vibriert fast elektrisch unter dem Gewicht, Gänsehaut breitet sich über seine Haut aus. Er spürt, wie sich fein die Härchen stellen, erst auf dem Rücken, dann über die Oberarme hinunter zu seinen Händen. 
Menschen stolpern aus den sich öffnenden Abteiltüren, hinaus in Kälte, Dunkelheit und Nacht. 
"Dieser Zug endet hier, bitte achten Sie auf die Ansagen am Gleis", quäkt monoton die Computerstimme, die schon wenige Minuten zuvor kaum zu verstehen war.

"Dieser Zug endet hier...", wiederholt eine Stimme in seinem Kopf - ein Stich durchfährt ihn irgendwie. Endet hier... Die Worte hallen in seinen Gedanken nach wie ein Echo, das nicht verklingen mag.

Endet. 
Hier.

Seine Unterlippe zittert, unwirsch berührt er mit dem Zeigefinger die zarte Haut. 

Tränenglitzernd wirft er einen Blick auf sein Handy, 19Uhr27, am 24.Januar 2017. 

 
 In seinem Kopf summt und surrt es, Chaos und Ruhe, Existenz und Nonpräsenz flackern auf, werfen ihm Wortfetzen und unvollständige Sätze zu, sie wimmern und betteln, befehlen und schreien. 
Sie schreien so laut wie nie zuvor, sie schreien, all ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihr Chaos hinaus.

Er schreit mit und lächelt, vielleicht das erste Mal in seinem Leben, während der 19Uhr28-Zug einfährt.

Dienstag, 10. Januar 2017

Blau bluten

Strahlend weiß war der Tag gestartet, hatte etwas Dumpfes über Straßen und Dächer der Ortschaften gezogen, während Autoreifen im Frischschnee versanken.
Gedämpft ratterten Motorroller über geeiste Fahrbahnen, rutschten über Schneeschollen und schlitterten quer durch den Morgenverkehr. 
Es war erst kurz nach sechs in der Früh, als sie sich irgendwie seltsam gelaunt auf den Weg in den Tag machte.

Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus. Zu viel Matsch, zu wenig Nässe, Schlieren verteilten sich über das Glas der Frontscheibe, sie seufzte. 
Während sie über die rechte Schulter sah und ohne zu blinken auf die äußerste Fahrbahn zog, hupte es hinter ihr. 
"Blödmann...", grummelte sie in ihren Schal, der sich monstös über Lippen und Wangen gelegt hatte.
Null Grad Celsius zeigte das Autothermometer an, eine Winzschneeflocke blinkte daneben. 

Die Welt sah in ihrer Ruhe und Sanftheit nahezu märchenhaft aus in diesen frühen Stunden, gezuckert und harmlos. 
Als würde alles eine Sekunde den Atem anhalten, vergessen, weiterzuleben, starr- und stillstehen, um sich vielleicht auf den ein oder anderen Augenblick konzentrieren zu können. 
Leben, einfach leben. 
Vor ihr leuchtete die Ampel apfelrot, ehe sie zu Uringelb übersprang, um schließlich Limettengrün stehenzubleiben. Autos fuhren an, Motoren brummten, Abgase stiegen in Richtung der Dunkelwolken, aus denen Zauberzucker herausfiel.

***

Ihre Augen waren geschlossen, als Wasser heiß über ihren Körper rann und dieselben Spuren hinterließ, wie Regentropfen auf Fensterscheiben.
Ein Wenig blinzelte sie, als sie die Augen wieder öffnete. 

Blaue Adern zogen sich über ihre Arme, ein Netz aus Wegen und Gängen, ein Labyrinth, dessen Sackgassen nicht zu erkunden waren. 
Blauer und blauer wurden die Stränge, sammelten sich zu flussartigen Bächen, ehe sie glamourös in die Duschwanne platschten. Sie sah ihnen nach, vielleicht eine Sekunde, vielleicht fünf, gedankenverloren. 
Blaues Blut, schoss ihr durch den Kopf und sie lächelte. 
Blaublütig.
Blaublütig? 
Ein seltsames Wort, es gefiel ihr nicht, wollte nicht geschmeidig und anmutig über ihre Lippen rinnen, sträubte sich auf ihrer Zungenspitze und verwandelte sie in einen Seemannsknoten. 
Blau bluten.
Ich blute blau.
Sanft und weich murmelten die Worte von ihren Lippen, verteilten sich angenehm warm in ihrem Kopf und erfüllten irgendwie ihr Herz, an diesem seltsam mittelgrauweißen Schneedienstag. 
Ich blute blau. 

Montag, 9. Januar 2017

Eiskristall

Eiskristalle hängen wie Kronleuchter in der Luft,
wenn man genau hinsieht,
kann man erkennen, wie sie schillern.
Hart wie Diamanten und doch
zart wie Federn schwingen sie
zur Erde,
tonleise, fast heimlich.

Beim Einatmen brennen sie in Nasen-
und Lungenflügeln,
sie kitzeln im Haar und manchmal, wenn man ganz
genau hinhört,
kann man den ein oder anderen
Menschen über sie schmunzeln hören.

Eiskristalle,
sie glitzern so endlos wundervoll
im Sonnenlicht,
wenn sie haltlos zur Erde fallen,
wo ihnen ihr grauses Schicksal bevorsteht.

Sonntag, 1. Januar 2017

Mami, können wir gehen?

"Mami, können wir gehen?" Seine Hand zog an meinem Shirt, ich wedelte sie irgendwie weg. "Mami!!!!" Nachdruck und Quengelei in seiner Stimme, die sonst eher piepsig und hell war, ohne jede Spur von Trotz oder kindlicher Ungeduld.
"Einen Moment noch...", hörte ich meine eigene Stimme von weit her, als wäre mein Kopf in Watte gepackt. Oder in diese Polsterfolie, die man um Glas- und Keramikvasen stopfte, damit sie beim Umzug nicht zu Bruch gingen.
"Mami, ich will jetzt gehen!" Der Zug an meinem Shirt wurde verstärkt und tatsächlich schaffte der Kleine es fast, mich zu Fall zu bringen.
"Ich hab gesagt, einen MOMENT NOCH!" Auch ich hatte nur Nerven und die wurden gerade mehr als auf die Zerreißprobe gestellt.
Der Kleine zuckte zusammen, seine Finger ließen den Shirtzipfel los und ich fühlte mich blitzartig befreit.
Ich sah an ihn an.
Sein Kinn bebte, als würde er jeden Augenblick zu weinen anfangen und in seinem Augenwinkel glänzte es unheilvoll.
"Setz dich da hinten hin, bis ich fertig bin!" Hart und unnachgiebig schallten ihm meine Worte entgegen, beinahe wie Ohrfeigen.
Er nickte stumm, wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht und zog die Nase hoch.

"Scheiße!"

Ich fluchte laut, blickte wieder unter mich und erinnerte mich daran, warum ich war, wo ich war.

Eingesperrt in einer Kirche, auf dem roten Teppich kniend, der vor dem Altar lag, Kerzenflackern um mich herum. Vor mir die Leiche einer Unbekannten, wunderschön sah sie aus.
Auf ihrer Stirn blühte frisch  eine Blutrose, eingebettet in ihre reine Haut. Haarsträhnen verteilten sich wirr darüber, mir war, als würde das schokoladenfarbene Brünett ihre tote Anmut besonders unterstreichen.
Mit dem rechten Zeigefinger strich ich der Toten über die Wange, eiskalt fühlte sie sich an, irgendwie taub. Ihre Augen, weit aufgerissen, faszinierten mich. Was hatte sie in ihren letzten Momenten, in ihren letzten Atemzügen gesehen? Was hatte sie gedacht, was gefühlt? Eine seltsame Mischung aus Unruhe und Neugier befiel mich, je länger ich meine Hand auf der Wange der Frau hatte.

"MAMI!"

Ich erschrak vor der Stimme, die mich wieder aus der Trance riss und in die Realität zurückbrachte.

"Können wir gehen?"