Mittwoch, 25. Oktober 2017

Kursiv

Dunkelheit umgab sie, zusammen mit Rauch, der in Kringeln um ihren Kopf aufstieg. Irgendwo gluckerte es, Wasserrohre. 
Jedes Geräusch ließ sie zusammenzucken, selbst ihr eigener Atem sorgte für Gänsehaut, die sich ihr tief in die Magengrube einpflanzte. Wann war es Abend oder sogar Nacht geworden?
Sie tippte auf das iPhone auf dem Tisch vor ihr, sein Leuchten schmerzte in den Augen und sie musste blinzeln. Kurz nach Mitternacht. 
Seit wann saß sie hier? Ihre Finger waren taub vor Nässe und bebten vor Kälte. Vergeblich versuchte sie, sich am Zigarettenstummel zu wärmen. 

Irgendwo in der Ferne konnte sie einen Lichthauch erkennen, unwirklich und unnahbar. Eine Familie, die über einem Spieleabend die Zeit vergessen hatte. Menschen, die miteinander diskutierten oder vielleicht gerade von der Spätschicht  nach Hause gekommen waren. 
"Hallo Schatz, ich bin daheim. Wie war dein Mittag?" 
Floskeln, die zwischen Kühlschranktür und Feierabendschnaps hin- und herflogen und die Beständigkeit eines Schneemanns im Sommer hatten. 
Sie seufzte und zog die Beine auf dem Gartenstuhl näher zu sich heran. Deutlich konnte sie den Herbst spüren, der schon fast im Begriff war, zum Winter zu werden. Zart wippte sie hin und her, nagte an der Unterlippe, auf der noch ein Rest des schokoladenfarbenen Lippenstiftes war, den sie heute Morgen aufgelegt hatte.
Heute Morgen. 
Wann war das schon?

Stunden waren vergangen, seit... Ja, seit wann eigentlich? 

Sieh hin, sieh es dir an! Etwas Kleines, aber unheimlich Lautes in ihrem Kopf zwang sie, den Blick nach unten zu richten. Obwohl sie so viel lieber weglaufen und sich irgendwo verstecken wollte, blickte sie nach unten. Schmerz durchfuhr sie ruckartig, sie rang nach Atmen. Rang nach Leben, wie die Kreatur unter ihr noch vor wenigen Minuten. 
Schau genau hin, was kannst du sehen?
Halt die Klappe, sei still! Kein Ohrenzuhalten der Welt konnte ihr helfen, kein Zähneknirschen, kein Brüllen. 
Sollten ihre Augen sich nicht mit Tränen füllen und sollte sie nicht eigentlich Angst und Scham, vielleicht Reue empfinden? Bitterkeit stieg in ihr hoch, vergiftete ihre Gedanken und ließ sie kalt lächeln. 
"Dein Wimmern war...erbärmlich!",stieß sie zwischen ihren Schneidezähnen hervor, die so fest zusammengepresst waren, dass ihr der Kiefer wehtat. 
Sie stupste das Bündel vor ihr mit dem rechten Fuß an, es gab unter der Berührung leicht nach. Das Schnauben, das ihr entrang, war verächtlich. 
"Du hast gedacht, dein Betteln würde dir helfen!? Du hast wirklich gedacht, ich würde meine Meinung ändern, nur weil du `Bittebitte` gewinselt hast?" 
Unruhig ging sie auf und ab, an ihrer Fußspitze klebte eine Mischung aus Staub, Blut und Wut. 
Beinahe bedächtig schloss sie die Lider, sah weiße Blitze vor sich und dunkelgrüne Mandelaugen, die sie angsterfüllt anstarrten. Mandelaugen, kalt und regungslos, verloren in Ausdruck und Gedanken. 
"Fick dich!", hatte sie gehaucht als sie mit ihrem Messer weiße Haut durchtrennte. Sanft und leicht war die Klinge durch Gewebe und Hautschichten geglitten, hatte Fasern zerschnitten und Hoffnungen zerstört. 
"Zeig mir dein Lächeln", ihre Stimme war ruhig und erregt vor Freude gewesen, ihr Werk zu Ende zu bringen. Ihr Werk. Ihre Arbeit. Ihr Stolz. 

Erst als Blut quoll und sich mit Staub zu einer Masse verband, war sie zu sich gekommen. Hatte auf das Messer in ihren Händen geblickt und auf das Menschenknäuel, das sich zu ihren Knien zur Seite krümmte. 
"Fuck!" 

Stundenlang hatte sie neben dem toten Körper gesessen, gekniet, gelegen. Ihren Kopf auf die Brust gelegt, die sich nie wieder heben und senken sollte, um frische Sommerluft nach einem Winter voller Schnee und Glühwein einzuatmen. 
Narzissenschwer war ihr Herz für den Bruchteil eines Augenblicks geworden. 

Sie zündet die letzte Zigarette an, die sie in dem John Players-Päckchen finden kann, das seine besten Zeiten bei weitem hinter sich hat. Der blaue Dunst in der Nachluft tanzt mit dem Mondlicht und sieht gespenstig und mild aus. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht und sie zieht die zerschlissene Wolldecke fester um ihren Körper. 


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