Sonntag, 24. April 2016

Warten bis zum Sonnenaufgang

Inzwischen schmeckt das Bier schal, vor ein paar Stunden war es wenigstens noch irgendwie kühl gewesen. 
"Ne ziemliche Plörre", bemerkt Jemand.  "Woher ist das?" "Frankreich." 
Einsilbige Konversation, fast schon ein Monolog. 
Beine baumeln, Oberkörper ruhen zurückgelehnt, auf Unterarme gestützt. Still ist es geworden in den letzten Stunden, Gedanken hängen in der Luft und in Köpfen fest; vielleicht treiben sie auch leicht und unbeschwert mit den Nachtwolken davon. Richtung Freiheit, Richtung Unendlichkeit.
"Weiß jemand, wie viel Uhr es ist?", fragt Einer in die einsetzende Dämmerung hinein. Wolkenränder setzen sich goldfarben und purpurblau  vom Rest der Himmelsfarben ab. Überstanden die Dunkelheit, durchgemacht die Nacht. Über Ziegeln, die moosbewachsen und taunass sind, kleine Spinnen weben ihre Kunstwerke in alten Fensterrahmen.  
Zusammen mit den Sternen die Stunden ausharren, die so ehrlich und rein sind. Atemwölkchen vor der Nase, fest in die Weste hineinkuscheln. Zum Aufwärmen einen Schluck Bier, ein Zug an der Zigarette. Eiskalt die Fingerspitzen, müde die Augen, wach der Geist. 
Auf den Straßen bewegt sich ab und zu etwas, von hier oben können wir Fahrzeuge wie Spielzeug beobachten. Taxischeinwerfer schlängeln sich ihre Wege über Autobahnen und durch Sackgassen, sie kutschieren die Hilflosen der Nacht. 
In den Bäumen singen schüchtern erste Amseln, ein paar Blaumeisen schließen sich an. Noch während am Himmel die Sterne verblassen, zeigen sich Sonnenstrahlen in Wasserrot und Feuerblau, sanft schieben sie die Kälte von sich. 
Beine baumeln haushoch über allem, Oberkörper ruhen zurückgelehnt auf Unterarmen, die mit Gänsehaut überzogen sind. 
Die Sonne geht auf, ein letzter Zug an der Zigarette, der Tag beginnt.


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