Dienstag, 10. Januar 2017

Blau bluten

Strahlend weiß war der Tag gestartet, hatte etwas Dumpfes über Straßen und Dächer der Ortschaften gezogen, während Autoreifen im Frischschnee versanken.
Gedämpft ratterten Motorroller über geeiste Fahrbahnen, rutschten über Schneeschollen und schlitterten quer durch den Morgenverkehr. 
Es war erst kurz nach sechs in der Früh, als sie sich irgendwie seltsam gelaunt auf den Weg in den Tag machte.

Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus. Zu viel Matsch, zu wenig Nässe, Schlieren verteilten sich über das Glas der Frontscheibe, sie seufzte. 
Während sie über die rechte Schulter sah und ohne zu blinken auf die äußerste Fahrbahn zog, hupte es hinter ihr. 
"Blödmann...", grummelte sie in ihren Schal, der sich monstös über Lippen und Wangen gelegt hatte.
Null Grad Celsius zeigte das Autothermometer an, eine Winzschneeflocke blinkte daneben. 

Die Welt sah in ihrer Ruhe und Sanftheit nahezu märchenhaft aus in diesen frühen Stunden, gezuckert und harmlos. 
Als würde alles eine Sekunde den Atem anhalten, vergessen, weiterzuleben, starr- und stillstehen, um sich vielleicht auf den ein oder anderen Augenblick konzentrieren zu können. 
Leben, einfach leben. 
Vor ihr leuchtete die Ampel apfelrot, ehe sie zu Uringelb übersprang, um schließlich Limettengrün stehenzubleiben. Autos fuhren an, Motoren brummten, Abgase stiegen in Richtung der Dunkelwolken, aus denen Zauberzucker herausfiel.

***

Ihre Augen waren geschlossen, als Wasser heiß über ihren Körper rann und dieselben Spuren hinterließ, wie Regentropfen auf Fensterscheiben.
Ein Wenig blinzelte sie, als sie die Augen wieder öffnete. 

Blaue Adern zogen sich über ihre Arme, ein Netz aus Wegen und Gängen, ein Labyrinth, dessen Sackgassen nicht zu erkunden waren. 
Blauer und blauer wurden die Stränge, sammelten sich zu flussartigen Bächen, ehe sie glamourös in die Duschwanne platschten. Sie sah ihnen nach, vielleicht eine Sekunde, vielleicht fünf, gedankenverloren. 
Blaues Blut, schoss ihr durch den Kopf und sie lächelte. 
Blaublütig.
Blaublütig? 
Ein seltsames Wort, es gefiel ihr nicht, wollte nicht geschmeidig und anmutig über ihre Lippen rinnen, sträubte sich auf ihrer Zungenspitze und verwandelte sie in einen Seemannsknoten. 
Blau bluten.
Ich blute blau.
Sanft und weich murmelten die Worte von ihren Lippen, verteilten sich angenehm warm in ihrem Kopf und erfüllten irgendwie ihr Herz, an diesem seltsam mittelgrauweißen Schneedienstag. 
Ich blute blau. 

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