Montag, 24. Oktober 2016

Sie schämt sich

Menschen strömen an ihr vorbei, der ein oder andere wirft ihr vielleicht einen Blick zu. Oder auch zwei, je nachdem.
Sie schämt sich. Für das, was sie ist. Für das, wofür sie steht. Sie schämt sich, wie sie auf dem Boden sitzt, einen Pappkarton unter dem Po, ein Kaffeebecher vor ihren Knien. Die rechte Hand nach vorne gestreckt, hin und her wippend, ein Flehen in den Augen. 

Der Morgen lief gut. Sie überlegt kurz, welches Datum wohl dick in den Kalendern der Geschäftsmenschen steht, die Aktentaschen schwenkend an ihr vorüber hetzen. Wahrscheinlich gab es vor ein paar Tagen Gehalt, denkt sie, während sie wie in Trance den Rotz unter ihrer Nase wegwischt. Natürlich mit dem Ärmel ihrer viel zu fadenscheinigen Jacke, die noch nicht einmal der ersten Herbstkälte Ende August standhalten konnte.
Zehn Euro und ein bisschen was zählt sie aus den Augenwinkeln in ihrem Kaffeebecher zusammen. Ungehört dringt ein Seufzen aus ihren Lippen, verhallt tonlos zwischen grauen Wolken und den Häuserfronten der Einkaufsmeile.

Ihr Bein kribbelt, irgendwie ignoriert sie es, weil sie weiß, der Schmerz, wenn es wieder wach wird, wird umso schlimmer sein. Alltägliche Mühen, geht ihr süßlich durch den Kopf. Bilder von Familienidylle, Sonntagmorgenfrühstück und Friede-Freude-Eierkuchen folgen.

Grau. Grau ist der Regen, der auf die Sraße platscht und sich in Pfützen sammelt, um unangenehm als Spritzwasser  unter Stiefeln und Sneakers hervor zu watschen. Es müffelt  nach nassen Hunden, durchweicht nach Socken und irgendwie abgestanden nach Stadt.
Sie verzieht das Gesicht und schaut einer jungen Frau dabei zu, wie sie versucht, Coffee to go, Regenschirm und Smartphone samt Kopfhörern zu koordinieren. Selbst als sie weg ist, folgt ihr Blick dem schwarzen Mantel durch den grauen Tag, ihr Hüftschwung erinnert sie ein wenig an sie. Damals.

Münzen klirren, Metall auf aufgequollener Pappe, eher ein Ploppen. Sie sieht auf, Gestalten, unförmig in Jacken gehüllt, beugen sich zu ihr, reden mit ihr. Reden mit ihr? Vielleicht. Oder doch nicht. Sie weiß es gar nicht, erkennt nur, wie Münder sich öffnen und schließen. Ob Worte herauskommen und die an sie gerichtet sind... Sie nimmt den Unterschied schon lange nicht mehr wahr.
Von ferne hört sie, wie ihre eigenen Lippen Wortklumpen hervorwürgen, in der Sprache, die sie verabscheut.

Sie schämt sich, und streckt der Stadt voller Trotz die wippende Hand entgegen.

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