Dienstag, 1. November 2016

Zugvögel

Als sie ihren Kopf aus dem Holzfenster streckte, konnte sie die Zugvögel hören. Schreihälse, die durch den Abend des ersten Novembers zogen und sich so unendlich viel zu berichten hatten.
Sie erzählten von Märchen, von großen Lieben und fremden Ländern, was sie in ihrem Sommer erlebt hatten und wem sie den Laufpass gegeben haben.
Ihr Gespräch kam als Schnattern in den Dörfern und Städten an, über die sie flogen. Die Flügel weit ausgebreitet, gegen Zugluft schützten Flaumfedern.
Für einen Augenblick schloss sie die Augen und wünschte sich, die Freiheit der Zugvögel auch in ihren Adern zu spüren. Einfach in die Nacht hinaus, dem Nachtwind entgegen, der sie auf Samtschwingen dorthin bringen würde, wo sie frei sein konnte.

Es duftete nach Regen, obwohl es den Tag über trocken, sogar sonnig gewesen war. Es duftete nach Herbst und Wintereinbruch, nach Pilzen, Moos, nassen Hunden und Spaziergängen über matschige Wiesen. Sie lächelte und trotz des kühlen ersten Novemberabends füllte sich ihr Körper von innen heraus mit Wärme.
Wie strubbelig ihre Haare doch gleich nach dem Wachwerden sind, dachte sie, noch immer an den Holzfensterrahmen gelehnt und musste beinahe im selben Moment lachen. "Sonst fällt dir nichts anderes zu mir ein?" , würde sie empört schnauben und ihre Augen groß aufreißen. Um ihre Mundwinkel würde ein Grinsen spielen, das sie nur mit Mühe unterdrücken könnte. Ein Kuss, tief und lang, oder vielleicht nur ein Stupser auf die Nase wäre ihre eigene Reaktion.
Ihre strubbeligen Haare... Sie kicherte leise, gerade so laut, dass sich auf der anderen Straßenseite eine Katze erschreckte und sie entsetzt anstarrte.
Ihre strubbelige Morgenfrisur kitzelte sie in der Nase, wenn sie aneinander gekuschelt den Morgen verstreichen ließen und über Wetter und Welt philosophierten. Autos hupten auf der Straßen, Rettungswagen fuhren den Berg hoch und runter, wahrscheinlich auf der Suche nach ihrem Patienten.
Was kümmert es uns, ging ihr durch den Kopf, während sie langsam den Griff des Holzfensters schloss. Schneidend war die Abendluft geworden, brannte ein wenig in Nase und Lungen.

Lass mich dir von Märchen und Heldinnen erzählen, von Wundern und Welten, in denen die verrückten die besten Menschen sind.

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