Dienstag, 27. Dezember 2016

Unglück

Atemlos kam er zu sich, im Bett sitzend, seine Frau neben ihm. Sie schnarchte leise, wahrscheinlich lag sie auf dem Rücken. Mit einem Blick vergewisserte er sich, ja, Rückenlage, den Kopf nach hinten überstreckt. Eine Hand friedlich in die Bettdecke geballt, die andere irgendwo im Kopfkissen. Langsam beruhigte sich sein Atem, langsam bekam er seine Gedanken wieder unter Kontrolle. Ein Traum, mehr nicht. Ein furchtbarer Traum, der ihn aus der Bahn geworfen hatte. Er… War das Rauch, was sich schwer auf seine Lunge legte beim Einatmen? Er schnüffelte intensiver, schloss die Augen, um jede olfaktorische Schwankung wahrzunehmen. Rauch, eindeutig! Weiß und wabernd kroch er hinein in ihre Schlafzimmer, setzte sich im Läufer fest und vernebelte die Sicht zum Wandschrank. Vom Fenster fiel ein Lichthauch hinein, die Straßenlaterne schenkte der Nacht ihre LED-Kühle.
„Schatz, Liebling, wach auf!“, seine Stimme krächzte tonlos, als er sie unsanft an der Schulter wachschüttelte. „Es brennt!!!“, heiser und rau klang der Schrei, er hatte selbst keine Ahnung, woher er die Kraft nehmen konnte. „Wir müssen raus hier!“ Sein Hirn ratterte, während seine Frau sich im Bett langsam aufrichtete. Ihre Knochen taten immer so weh, jede kleine Bewegung kostete sie enorme Anstrengung. „Hm?“ Mit einem Satz war er aus dem Bett, woher kam nur all diese Energie? „Es brennt, Liebling, wir müssen aus dem Haus!“ Tränen traten in die Augen seiner Frau, ihr Mund verzog sich wie bei einem trotzigen Kind. „Warum!“ Keine Frage, sondern eine Aussage, die beinahe pampig im Rauch hängen blieb. Sie musste husten, das Beißen der Schwaden kroch in ihren Hals und von da aus in Bronchien und Lunge. Hier, zieh dir das über“, er warf ihr eine dicke Weste von sich selbst hin, mehr Zeit war nicht. Draußen dröhnte schon das Martinshorn der anrückenden Feuerwehr, Blaulichtschimmer überzog die Dächer der Nachbarschaft bereits. Ruhig, bleib ruhig, beschwichtigte er seine aufkeimende Panik, alles wird gut. Sein Blick fuhr gehetzt über Wandschrank und Rollstuhl, wie sollten sie das nur schaffen? Wahrscheinlich war in der Wohnung im Erdgeschoss, bei diesen Yuppies mit ihren ewig qualmenden Schundschloten eine Kippe auf einen Teppich gefallen. Oder sie waren eingeschlafen. Oder.. Keine Zeit, andere zu verurteilen, er musste handeln, ihr Leben hing davon ab!
Mühsam hatte seine Frau sich inzwischen auf die Bettkante gehievt und ließ ihr Bein auf den Boden hängen. Der Stumpf berührte die Matratze und reichte gerade ein kleines Stück darüber, die Schlafanzugshose bedeckte ihn jedoch. „Und jetzt?“ Sie sah ihn an, ihren Mann, der eigentlich eher ein Herr war. Ein feiner Herr, wie sie schon damals gedacht hatte, als er ihr in dem kleinen Fotogeschäft des erste Mal begegnet war. Ihre Augen fixierten ihn, sie suchte seinen Blick, suchte Antworten auf ihre Frage. Eingefroren in blaues Gletschereis schien der Augenblick, nur der Rauch quoll inzwischen dicker und schwärzer unter der Türspalte durch. Wenige Minuten waren erst vergangen, zwischen dem abrupten Aufwachen des Mannes und der Frage der Frau, die ohne ihren Rollstuhl praktisch verloren war. Steif und unbeweglich, mit trüben Augen und müde. „Wir müssen raus!“, fauchte er fast. Sie lachte, kalt und ohne eine Spur Humor in der Stimme. „Und wie?“ War es Verzweiflung, die sein Gesicht dunkler werden ließ oder benebelte der Rauch inzwischen auch ihre Wahrnehmung? „Ich hol‘ dich!“ Ohne ihr Protestieren abzuwarten, war er um die Bettkante herum und versuchte, ihren Körper in seine Arme zu wuchten. „Wir schaffen das, ja?“
Vor ihrer Schlafzimmertür polterte es, ehe ein Feuerwehrmann in den Raum gestolpert kam. Mit Atemschutzmaske und Taschenlampe rief er raus, ohne sich umzudrehen: „Zwei Personen, lebend im Schlafzimmer. Wir brauchen eine Trage!“

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