Donnerstag, 28. Januar 2016
(Schau)Spieler
Ihre Mienen sind heiter bis wolkig, manchmal schweigsam, manchmal keck, je nachdem.
"Das Publikum gibt heut' echt viel Applaus!", stellt Jemand fest, die beige Stoffhose hängt in den Kniekehlen. "Ja, so wie schon seit sieben Vorstellungen nicht mehr", pflichtet ein Anderer bei.
Worte fliegen mühelos, balancieren im Raum oder verfangen sich im Kleiderständer.
In den Klamotten, die das Bühnenvolk so kleiden. Bunt, schwarz, blau und beige, verschroben bis verbraucht-edel. Halbedel, man will es ja nicht übertreiben.
Ein paar von ihnen rauchen im Klo der Garderobe am Fenster, mit Blick auf die Straßenbahn. "Räucherkammer" nennen sie das nikotinverhangene Kabuff liebevoll; verrückt diese Theatermenschen.
Die Durchsagenanlage blökt Gespräche hinein, die Kollegen auf der Bühne lamentieren und tun das, was sie am Besten können und am Liebsten tun: Schauspielen.
Allrounder müssen sie sein, Alleskönner, die sich nicht scheuen. Launen, Eigenheiten, Ticks, Macken - auf Befehl muss all das abrufbar sein, ein Publikum in andere Sphären zu versetzen.
Gespielte Welten.
Gespielt. Schauspiel. So tun, als ob.Fantasiegebilde vorgaukeln und glaubhaft wiedergeben.
Drehbuchtexte hinunterleiern oder doch aussagekräftig performen?
Verrat an der eigenen Persönlichkeit? Verlust der Identität? Oder Gewinn mehrerer Identitäten bis Persönlichkeiten?
Schauspieler. Menschen der Illusion.
Wann spielen sie, wann nicht?
Kann man eine Linie ziehen, kann man "So tun als ob" klar abtrennen von der Realität?
Können sie das selbst?
Schauspieler.
Sie spielen eine Schau, werden professionell dafür bezahlt, Märchen zu verbreiten. Eine möglichst breite Masse anzusprechen, nein, anzulügen.
Schauspieler. Zwischen und hinter und neben all den Texten und Rollen vielleicht zeitlebens auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.
Dienstag, 26. Januar 2016
Sneaker
Donnerstag, 21. Januar 2016
Maskenhaft
Ich sitze vorm Spiegel, bequem, naja halbwegs. Mein Gesicht starrt mir entgegen, die Haare streng zurückgesteckt,die stören nur.
Sagt sie.
Nachdem sie mir den Umhang um die Schultern gelegt hatte, kam sie mit den Haarklammern. Zack. Zack.
Weg mit den Strähnen.
Nackt fühlen sich meine Schläfen an,ohne ihren Schmuck. Ich sehe mir selbst ruhig in die Augen,während ich den Blick über mein Gesicht gleiten lasse.
Wangen,Nase,Kinn,Mund.
Ernst und irgendwie verstimmt bis schlecht gelaunt,diagnostiziere ich. Irgendeine der Stimmen in meinem Kopf applaudiert. Wow,welche Erkenntnis, dazu musst du erst drei Minuten dein Spiegelbild anglotzen?
Ich versuche,den sarkastischen Ton zu ignorieren, gar nicht so einfach.
Ich könnte mal wieder meine Augenbrauen rupfen,fällt mir auf. Härchen wuchern bereits außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Okay,morgen!, verspreche ich meinem Spiegelbild. Es scheint nicht sonderlich beeindruckt davon, der schlecht gelaunte Ausdruck hält an. Ja,so langsam gleicht sich meine Laune wirklich der Mimik an.
Probeweise verziehe ich die Mund-Wangen-Kinn-Partie zu einem Lächeln: nein,beim besten Willen,es fühlt sich mehr als falsch an. Schnell wieder zurück zu ernst und verstimmt.
Meine Nase läuft,ich schniefe halbherzig. Woher kommen eigentlich die Pickel auf der Stirn? Gestern Abend waren die noch nicht da. Oder doch?
Weg ist die Erinnerung an mein Gesicht von vor 11 Stunden beinahe wie ausgelöscht.
Ist auch egal,versuche ich das Tosen meines Erinnerungsvermögens zu beruhigen.
Egal. Alles egal. Kein Lächeln, nur Neutralität und Ernsthaftigkeit.
"The importance of being earnest" von Oscar Wilde kommt mir in den Sinn; könnte ich mal wieder lesen.
Bist du bereit?, will sie von mir wissen, platzt mitten in meinen monologartigen Gedankendialog hinein.
Ich nicke, irgendwie. Es geht los.
Langsam aber sicher kehrt ein Lächeln in mein Gesicht zurück, mit dicken schwarzen Linien und kirschsignalroten Lippen. Falschen Wimpern und Stargategrün um die Augen.
Meine Mund-Wangen-Kinn-Partie ist bewegungs- und regungslos, ich verziehe keine Miene,obwohl ich bis über beide Ohren grinse.
Sie hat mir ein Lächeln angezogen.
Montag, 18. Januar 2016
Eisblumen im Schaufenster
Es ist noch früh am Morgen, Montag. Ein Montag im Januar, Schneematsch ist über Nacht zu Eiskrusten gefroren,über die Autos mehr schliddern als fahren. Reifenknurren durchbricht dann und wann die Stille der Stadt,droht beinahe, die feinen Gespinste von Eiszauber brechen zu lassen. Klirrend kalt ist es,kleine Schneewölkchen blühen vor der Nase auf,zerfließen in kaum einer Sekunde.
Hin und wieder wankt ein Mensch durch die Straßen, tief vergraben in Schal und Jacke, den Blick nach unten gesenkt,vielleicht irgendwo zwischen Eispfützen nach Wärme suchend.
Starr scheint die Welt,obwohl am Winterhimmel langsam die Sonne aufzutauchen beginnt, Grashalme glitzern in ihrem Licht. Sie schimmern sanft und rosa,während das weite Blau in eine Mischung aus Orange-Weich-gelb-bläulich getaucht ist. Dunkel zeichnet sich der Fabrikenqualm aus alten Schloten davor ab,an den Rändern krasspink. Noch leuchten die Stadtlichter,noch ruht die Zeit. Ist sie auch eingefroren,über Nacht?
An einem Schaufenster, wunderschön und winzig, so filigran und feingewebt wachsen sie. Winterblumen,Eisblumen, die Schätze Väterchen Frosts. Ein Geschenk an alle, die ihre Freude am Kleinen haben,Freude am Duft nach Schnee in der Nacht. Freude am Gesang der Vögel. Freude am Licht der Sterne.
Sie blühen hell und kalt,die Eisblumen im Schaufenster, kriechen die Scheibe entlang, haften fest,und sind doch so zerbrechlich wie ein feines Gebilde aus Glas. Zauberblumen aus Eis.
Dienstag, 12. Januar 2016
Duft nach Schnee
Im Wald huscht ein Reh über den Weg, der am Tag einer Rennstrecke für Vier- und Zweibeiner gleicht. Eine verkauzte Eule schwingt durch das Wintergeflecht aus blattlosen Bäumen und Gesträuch, vielleicht auf der Suche nach einer Maus. Ihre Federn sind flockig und weich, ihr Blick wachsam. Tiefdunkel liegt der Wald da, seiner Stille kann man lauschen, sie klingt wunderschön. Fast märchenhaft.
In den Straßen reiht sich Haus an Haus, Garage an Mülltonne. Papierfetzen stapeln sich hier und da, verzieren den Gehweg wie moderne Kunst. Irgendwo miaut eine Katze, vielleicht auch ein Kater. Ein einsames Lied oder gibt es Zuhörer?
Allmählich ziehen die Stunden vorüber, der Neumond geht unter, keine Sonne geht auf. Dafür schieben sich Wolkentürme vor das Sternschnuppengemälde, Berge aus Wassermolekülen bauschen sich zusammen. Die Luft zittert, es ist kühl, irgendwie sogar kalt. Sanft überziehen Blitze eines fernen Gewitters Himmel und Land, Winterdonner grollt gemütlich durch Straßen und Gassen.
Regentropfen lösen sich, erfrieren in der Kälte, fallen weich. Sie zuckern die Erde, allmählich und stetig, verstopfen die Luft mit ihrem Aroma. Schneeduft - etwas ganz Besonderes.
Die Nacht bricht wieder herein, der Neumond geht auf, will die Welt erdunkeln mit seinem schwarzen Licht. Doch taghell strahlen Land und Gassen, taghell erwidern sie den Sternschnuppenglanz. Hell ist die Stadt, hell sind die Dörfer. Hell und kühl, irgendwie sogar kalt. Die erfrorenen Regentropfen liegen weich und sanft und versüßen die dunkelhelle Nacht mit ihrem Schneeduft.
Donnerstag, 7. Januar 2016
Guter Tag?
Vorbei sind Feiertage und Verpflichtungen,vorbei Langeweile und Serienmarathon. Der Alltag ist wieder drei Tage alt,es ist schon Mittwoch. Mittwochabend,06.01.16. Schön die Zahl, denke ich. 6116. Oder 6611. Vielleicht auch 1166 oder 1661. Irgendwie muss ich lächeln, mathematische Gedankenspiele zahlen sonst weniger zu meinen Beschäftigungen. Heute offenbar schon.
Der Mittwochmorgen startete mit Yoga Pilates,um kurz nach zehn war ich quasi tiefenentspannt.
Bunt und fließend waren meine Gedanken, ich begrüßte Menschen, fand Freude daran, Fremde anzulächeln. Trotz Regenwolken fühlte ich Sommer in mir, wo auch immer der herkam.
Erholsam.
Im Schneckentempo bummelte ich nach Hause, durch die Waldstrecke,die so einsam dalag. Bis auf die anderen Autofahrer, dachte ich irgendwie amüsiert.
Die Regentropfen perlten an meiner Laune ab,ich war fit und bereit für den Tag. Ein Lächeln fühlte ich auf meinen Lippen, mir gefiel der Zustand.
Im Haus war alles noch zehnuhrdunkel und ruhig,ein Dämmerzustand,halb wach,halb schläfrig. Ich nahm die Zeitung aus der Rolle,ließ sie auf die Treppe platschen, Haus- und Autoschlüssel daneben.
Schnell die Jacke abgestreift und mit wenigen Schritten hoch,trockene Klamotten greifen,frische Unterwäsche. Ab unter die Dusche, die Anstrengung der Tiefenentspannt abwischen. Ich stellte mir gerne vor, dass sie als Dampfwolke von mir wich. Erfrischend heizte das Wasser meinen Körper auf,ich spürte Muskel um Muskel atmen. Noch immer fand ich dieses Lächeln auf meinen Lippen, zuckrig.
Die Dusche belebte und ermüdete,ein Zustand höchsten Glücks. So einfach kann es sein...
Zusammen mit dem Glück strömten meine Gedanken, wie Wellen trafen sie an meinem Strand ein. Brachen,ließen eine Spur aus Schaum zurück. Irgendwie salzig, doch auch bitter. Wie Tränen.
Aber erst mal Frühstück.
Müsli, self-made. Haferflocken, Leinsamen,getrocknete Aprikosen, ein Teelöffel Honig. Milch, 1,5% Fett. Healthy Living oder einfach lecker. Tee,Kaffee, eine Brausetablette Vitamin C.
Die Stunden verflogen, zusammen mit Regenwolken und Gedanken. Nachmittag ist es geworden, irgendwie an diesem Tag.
Bisschen Make up ins Gesicht, saubere Hose, die blauen Stiefel. Mein lächeln blickte mich aus dem Spiegel an. Trotz der Pickel auf der Stirn war ich heute zufrieden. Könnte schlimmer sein,definitiv. Haare liegen, es wird sowieso regnen. Egal.
Rotes Shirt, blaues Top drunter, Farbtupfer im Grau.
Kaum 110 auf der Autobahn,die anderen können ruhig überholen. Der Tanklaster vor mir stört mich nicht wirklich, ich hänge mich an ihn dran. Die Scheibenwischer stehen auf Intervall.
Die Stadt ist näher als erwartet, Abfahrt, Blinker,Parkplatz. Schnell die Parkgebühr per SMS,dann ins Getümmel.
Halbdunkel,Menschen erkenne ich nur schemenhaft. Hochgezogen sind Schals und Kapuzen,hier und da ein aufgeblähter Schirm.
Zack,rein,Ausweis vor, fertig.
Abend gesichert, ich bin zufrieden.
Ein Blick auf die Uhr: noch drei Stunden,dann ging die Vorstellung los. Ich war gespannt auf "Die Verwandlung " von Kafka.
Eindeutig ein guter Tag, ging mir durch den Kopf, als ich kurz nach halb acht im Zuschauerraum saß. Zusammengemixt aus alten Kinosesseln, Clubsitzen und Lehnstühlen waren die Sitzmöglichkeiten im kleinen Theater. Avantgardistisch bis außergewöhnlich,gerade deswegen anziehend und sympathisch. Eine Location, die sich meinem Resttag nicht besser hätte anpassen können.
Langsam wurde es voller um mich herum,nervöses Tuscheln umgab mich,ließ mich irgendwie abdriften.
Mich über meinen Tag nachdenken,der trotz der Grauheit und der Regenwolken ein guter Tag gewesen war. Voller Lächeln und Tee,Yoga und Pilates. Tiefenentspannt und spannend bis zum Schluss.
Mit diesen Gedanken betrat der Schauspieler die Bühne.
"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte,fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt." (Die Verwandlung, Kafka,Kap. 1,1-2)