Montag, 22. August 2016

Die sterbende Fliege in der Ecke meines Computerbildschirms

Feierabend, beinahe. Ich rieche fast schon den süßlichen Gestank der Heimfahrt im Zug. Zu viele Menschen auf zu kleingeratenen Sitzen, deren Samtstoffbezug schon vor fünf Jahren hätte ausgetauscht werden müssen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, während mein Blick fest auf den Computermonitor vor mir gerichtet ist. Ausschnitt vergrößern, Pickel mindern, Fliegehaare entkräuseln.
Draußen rauscht die Stadt mit ihren Geräuschen. Menschen streiten, Kinder quietschen, irgendwo lamentiert ein Betrunkener. Neben Tütenrascheln und Pommer-Knistern  schnüffeln Hunde durch das Meer aus Fußgängern, immer auf der Spur nach dem letzten Wurstzipfel.
Ein Blick auf die Uhr -oben rechts im Monitor- verrät mir, noch knapp 35Minuten.
Still ist es im Büro, nur das Klicken mit der Maus hallt unendlich laut von den Vierwänden wider.
Während ich nach der Flasche  auf meinem Schreibtisch greife, um den letzten Schluck Sprudelwasser  zu trinken, wird mein Blick von einer nahezu mikroskopisch kleinen Bewegung auf dem Monitor festgehalten. Die Flasche in meiner Hand schwebt eine Sekunde über der Tastatur, ich kneife die Augen zusammen.
Oben rechts, ganz in die Ecke gekauert, sitzt etwas Schwarzes. Zusammengeknäuelt, ein Häufchen Ichweißnichtwas. Zaghaft stupse ich das Etwas mit dem Kleinen Finger an, es surrt unter der Berührung, bewegt sich träge. Verkriecht sich weiter in den Monitorwinkel und scheint doch irgendwie auf dem Präsentierteller zu liegen.
Eine Stubenfliege im letzten Stadium ihrer Entwicklung. Musca domestica, zum Sterben bereit. Ich betrachte sie einen Moment, irgendwo regt sich Mitleid, allerdings nur so zaghaft, wie das Tierchen auf meinem Monitor.
Sollte ich ein schlechtes Gewissen wegen meines fehlenden Mitleids haben? Ein Hauch Selbstzweifel ziehen am Horizont meiner Gedanken auf, ähnlich langsam wachsenden Gewitterwolken. Die Fliege summt leise, sortiert ihre Beinchen, putzt sich nochmal die Knitterflügel.
Wahrscheinlich spürt sie, wie ihre Kräfte sie langsam verlassen, wie sie immer müder und schwerer wird, wie ihr jede Bewegung anfängt Schmerzen zu bereiten. Sie weiß nicht, wieso oder warum, und letztlich spielt es keine Rolle für sie. Sie wird sterben, vielleicht noch nicht einmal mehr zehn Uhr heute Abend erleben.
Ich sitze einfach da, starre auf die sterbende Fliege in der Ecke meines Computerbildschirms und weiß nicht, ob ich Mitleid haben soll.

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