Donnerstag, 2. März 2017

Long Way down

Ihre Hand zitterte kaum noch, als sie nach dem Smartphone in den Tiefen ihrer Jeanstaschen kramte. Um sie herum flirrte die Luft im Wind, der sich seit einigen Stunden hartnäckig am Festsetzen war. Sie zuckte ein wenig zusammen, als die Fingerspitzen das Metallgehäuse des Mobiltelefons berührten.
Ein Blick auf das Displayfeld genügte ihr.
Wie wild blinkte die Benachrichtigungsleuchte, aggressiv in Cyanblau. Eine Pop-Up-Nachricht öffnete sich ungefragt und erhellte das  Schwarz des Displays.

"Alles gut bei dir?"

Sie schnaubte, leise, aber aus tiefster Überzeugung heraus, ehe sie das Fenster wegdrückte.
Alles gut. Alles gut?

Kurz zögerte sie, spürte, dass ihre Gedanken sich zusammenzogen wie dunkle Wolken es kurz vor einem Gewitter tun.
Eine Windböe vertrieb ihr heraufziehendes Gedankenunwetter jedoch, sie hatte ihr Gewitter bereits hinter sich.

*

Hektisch fing sich ihr Atem in der Maske, die sie sich über Mund und Nase gezogen hatte. Wozu eigentlich? Vielleicht wollte sie nicht erkannt werden, vielleicht ertrug sie den Gestank auch nicht. Einerlei, dachte sie und schmunzelte über ihre Wortwahl.
Für eine Sekunde ließ sie den Blick durch den Raum wandern, versuchte, ihn nicht mit ihren eigenen Augen zu sehen, sondern mit seinen.
Mit seinen dunkelgrünen Augen, die weit geöffnet waren und in denen Tränen funkelten. Die Augenbrauen  schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben, abwechselnd hoben und senkten sie sich, möglicherweise im Gleichklang zu seinem Atem.
Belustigt, beinahe spöttisch sah sie auf ihn hinab. Kalt blitzten ihre Augen, um ihre Mundwinkel zuckte ein Lachen, wirr, irgendwie verrückt.
"Niemand hätte das gedacht, nicht wahr?" Rau hallten die Worte in der Dunkelheit wider, halfen ihr, sich wohlzufühlen.
"So sieht man sich wieder, in alter Frische, wie man so schön sagt."
Er versuchte dem Griff ihrer Hand in seinen Haaren zu entkommen - es war nicht mehr als das Winden eines Regenwurms auf dem Trockenen.
"Du magst doch Sprichwörter, mochtest du doch immer!" Sie hauchte es fast in sein Ohr, ihre Lippen berührten dabei sein Ohrläppchen. Wieder zuckte er zurück, sein Atem ging deutlich schneller, Würgelaute drangen aus seinem Mund.

"Was habe ich dir getan?" Ein Winseln, ein Flehen, ausgestoßen, um das erbärmliche Leben zu retten, auf das er so stolz war.

Sie lachte, laut und böse, der Griff in seinen Haaren verstärkte sich, sie riss seinen Kopf nach hinten, zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen.
"Du hast mir mein Leben zerstört!"
Brutal ließ sie das Haarbüschel los, das sich zwischen ihren hungrigen Fingern verlockend angefühlt hatte.

"Du hast mein Leben zerstört und dafür", sie flickte eine Kunstpause in ihre Worte, "wirst du nun büßen!"

*

Das Handy in ihrer Hand vibrierte, es schien ein Anruf zu sein, das Summen wollte nicht enden und war kurz davor auch  die letzten  funktionierenden Nerven zu ruinieren, die sie noch hatte.
"Was?", blaffte sie nach einer kurzen Wischbewegung in das Smartphone.
"Wieso reagierst du nicht auf meine Nachrichten?" Die Stimme am anderen Ende war aufgeregt und schien sie durch die Leitung stehenden Fußes in den Boden stampfen zu wollen.
"Du  bist nicht mein Kindermädchen!" Sie war kurz angebunden, wozu sollte sie sich rechtfertigen? War sie irgendwem auch nur einen Hauch Irgendwas schuldig?
"Ich hab mir Sorgen gemacht!" "Und ich hab dich nicht darum gebeten, dir Sorgen zu machen!" Keine Nähe, keine Wärme zulassen. Emotionen außen vor lassen.
Sie wusste was geschehen konnte, wenn sie sich auf ihre Gefühle verlassen wollte.

*

Einmal, zweimal hatte sie schon zugeschlagen, hatte sie ihrer Wut, all ihren aufstrebenden Emotionen freien Lauf gelassen. Sein Geschrei war süßer als jede Melodie, die sie zuvor in ihrem Leben gehört hatte.
"Schrei nur, schrei, und sing mir das Lied vom Leid!"
Verrückt und psychopathisch war ihr Lachen, während Blutfetzen und Hautbrocken auf ihren Kleidern kleben blieben.
"Du verdammte Schlampe!", röchelte er heiser und fing an, sich zu übergeben.
Ein Quell aus frischem Blut sprudelte zwischen seinen Lippen hervor, es erinnerte sie an diese kitschigen Springbrunnen in penibel gepflegten Parks, wo Menschen pseudo-glücklich allsonntäglich ihre Hunde und Gatten hin ausführten.
"Du hast mir Alles genommen, alles, was mir in meinem verfickten Leben was bedeutet hat! Du hast sie mir genommen, dafür wirst du sterben!"
Ihr Herz bebte, ihre Lungen brannten und sie konnte sein Blut trotz der Maske auf ihrer Zunge schmecken. Bitter und kalt, wie Rache serviert werden sollte.
Sie sah auf ihre Hände hinab, in denen sie das kleine, leichte Beil hielt.
7,99Euro hatte es gekostet, "Küchenbeil" hatte auf der Rechnung gestanden und in seinem Blau-Gelb erinnerte es eher an einen zu lang geratenen Minion, anstatt an ein Werkzeug, das den Tod im Gepäck hatte. Es wog nicht viel in ihren Händen, passte sich an die Handanatomie geschmeidig und angenehm an. Sie würde keine Blasen davon bekommen, selbst wenn sie längere Zeit damit hantieren müsste.
Rachlust, gepaart mit Mordwillen - herrlich diese Kombination, die in Verbindung mit ihrem inneren Psychopathen nahezu grenzenlos war.

Als würde sie zu einem   Matchball beim Tennis ausholen, schwang sie das Beil, die schneidige Klinge blitzte mit ihren Augen um die Wette. Dunkelrot auf Metall - ein befreiender Farbverlauf.

Sein Schrei war überwältigend und enorm, als die Beilklinge ihm den Schädel spaltete.
Hirnmasse mit Blut verteilte sich auf dem Staub des Bodens, ein dunkler Brei, der sich tief in seinen Untergrund fressen würde.

*

Während die Stunden vorüberzogen, prägte sie sich jedes Detail, jede Kleinigkeit, jedes Dreckkrümelchen genau ein, um es später jederzeit wieder abrufen zu können. Sie lehnte am Geländer der Brücke, die über den Fluss aus der Stadt hinaus führte. Obwohl sie auf die Wasseroberfläche starrte, nahm sie nicht wahr, was sie sah.
Auf ihren Lippen blühte wunderschön das erfüllende Lächeln von Wahnsinn und Rache.

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