Dienstag, 7. März 2017

Schneeglöckchen

Zwischen Schneeglöckchen, Erdklumpen und Eiskruste sudelte das Blut auf den Boden, das aus der gierenden Wunde zwischen ihren Schulterblättern quoll.
Zäh und langsam quälte es sich den Rücken hinab, hinterließ eine fragezeichengeschwungene Linie, die sich einem roten Faden ähnlich sogar über das Schneeglöckchenweiß erstreckte.
Sie würgte trocken, Tränen schossen ihr dabei in die Augen, wahrscheinlich das erste Mal.

"Du kannst mich mal!", ihre Kehle brachte nicht mehr heraus als ein Keuchen, das an das erstickende Schuhu einer Schneeeule erinnerte.

Er sah sie an, lange und irgendwie intensiv. Voller Gefühle, die sie nicht zu deuten wusste. Waren es Wut und Zorn? War es Trauer? Enttäuschung?
Während er zermürbend langsam den Kopf schüttelte, versuchte sie sich auf das Wesentliche ihrer momentanen Situation zu konzentrieren.

Wo war sie? Irgendwo in der Pampa, im Nirgendwo.
Kein Handyempfang,vermutete sie, wenn sie Glück hätte, GPS.
Wieso war sie hier? Ihr Kopf ratterte alles herunter, was er an Information über die letzten...acht, oder waren es neun? Stunden finden konnte.
Disco, Club, zu viel Alkohol - Fetzen, die ihr blitzlichtartig durch die Gedanken zogen und mit denen sie doch so wenig anfangen konnte.
Sie waren tanzen gegangen, wollten ein wenig feiern und ihren Spaß haben. Spaß.
All das schien ihr Jahre weit weg, gerade gab es nur sie, ihn und das Blut, das literweise aus der Klaffwunde auf ihrem Rücken sprudelte. Sie blickte unter sich und sah die rotgesprenkelten Schneeglöckchen.
"Scheiße!", entfuhr es ihr.

"Wunderschön, sehen sie aus, nicht wahr?"
Seine Stimme war ruhig und kratzig, hatte einen Hauch Monotonie an sich, der sie anwiderte. Zu viel Selbstverständlichkeit, zu viel Alltag.
"Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!"

"Einen Scheißdreck werd ich tun, du Monster!" Obwohl sie am ganzen Körper zitterte, kamen die Worte laut, deutlich und selbstbewusst zwischen ihren Lippen hervor.
Sie versuchte sich aufzurichten, bei jeder noch so kleinen Bewegung schienen sich abertausende Messer zwischen ihre Schultern zu bohren.

Stunde um Stunde zog an ihrem Auge vorbei, ohne dass sie sich richtig oder überhaupt daran erinnern konnte. Was war geschehen nachdem sie im Club angekommen waren?

Um sie herum Musik, mit der man Zimmerpflanzen zum Eingehen brachte und Kakteen sterben lassen konnte.
"Wer von euch wollte eigentlich hierher kommen?"
Worte, die leichtfüßig zwischen ein paar "Prost" dahingesagt waren.
Irgendwer hatte sie von hinten gegen einen ihrer Kumpels geschubst, eine Sekunde lang hatte sie dabei in ein Gesicht sehen können, ohne sich jedoch zu merken, wie es ausgesehen hat.
Ein Allerweltsgesicht, nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches.
Ein Mann mit Dreitagebart und stumpfen Augen. Vielleicht zugedröhnt, vielleicht auch nur betrunken oder am Nachdenken.
Sie hatte ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt, war zu sehr damit beschäftigt gewesen, mit ihren Kumpels Blödsinn zu machen.

Jetzt kniete sie auf der Erde, während ihr Blut die weißen Schneeglöckchen befleckte und sie schuldig aussehen ließ.




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