Mittwoch, 28. September 2016

Der Mann mit den schwarzroten Ringelsocken

Kulisse: Theater im Schlosskeller. Ein spanisches Stück steht an, Musiktheater. Ich bin gespannt, so viele Aspekte häufen sich. Das Stück: spanische Sprache. Übertitel: deutsch. Bedeutet, mitlesen, die ganze Zeit. Falls es viel zu lesen gibt, man sagt ja, die Musik trägt ihre Geschichte auch ohne Sprachverständnis. Abwarten. Die Bühne: ich selbst habe vor vielen Jahren hier das Tanzbein geschwungen, war Bräutigam einer nicht ganz so grazilen Braut, die -wie ich selbst- etwas unbeholfen über den Holzboden geschlittert ist. Ein Grande Finale, schillernd das Kostüm, leuchtend die Augen der jungen Ballerinen. Groß der Applaus, stolze Eltern, die vielleicht die Chance erwitterten, dem Nachwuchs einst auf internationalen Bühnenbrettern applaudieren zu können.  
Ein weiterer Schritt Richtung Berufswahl, Berufswunsch: eine Kritik schreiben, über Wohl und Wehe des Stückfortgangs entscheiden, oder auch nicht. Karten sind bereits reserviert, der Saal füllt sich zusehends. Geblubber des Publikums, Schauspieler der billigen Plätze. Jacken knautschen und rascheln, Absätze schick angezogener Damen kratzen grässlich über den bedielten Boden. Musik vom Feinsten. Links eine Reihe vor mir, zum Ausgang hin, ein ältere Herr. Lederjacke, weiße kurze Haare, Brille. Ein standardisierter älterer Herr, sein Hemdskragen schaut über den Rand der Jacke. Eine Jeans an seinen Beinen vervollständigt das Bild, sein Outfit. Ein Bein ruht locker auf seinem Oberschenkel, Anzugsschuhe lugen darunter hervor. Er blätter in einem Flyer, wahrscheinlich einer von denen, die beim Kartenverkauf ausgelegen haben. Von der Seite kann ich seine Augen hin- und herblitzen sehen, wie er Buchstabe für Buchstabe studiert. Seine Hände hält er ruhig, sie zittern nicht, liegen entspannt auf dem Bein. Ich betrachte den älteren Herrn von meinem Platz aus, sympathisch scheint er mir. Ein Zeitgenosse, mit dem man ein Bier so wie eine Wagneroper überstehen und anschließend diskutieren kann. Ein wenig muss ich lächeln, all diese Dinge schweben durch meinen Kopf, während mein Blick auf seinen schwarzroten Ringelsocken verharrt.

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