Montag, 12. September 2016

Ich dachte

"Ich dachte, du liebst mich!", sagte sie und sah ihn an.
Stumm und mit diesem Blick in den Augen, der ihn seit Monaten schier in den Wahnsinn trieb. Ihre Lippen schmollten, sie hatte wieder die Spottfalte um den Herzchenmund, den er zu Anfang so gerne geküsst hatte. Zu Anfang.
Er seufzte.
"Kannst du bitte mal was dazu sagen?" Die Stimme so voller Vorwurf, so voller... Er sparte sich die Mühe nach weiteren Beschreibungen zu suchen.
"Was soll ich denn sagen?"
"Vielleicht, wieso du deine Kollegin gevögelt hast?"
Wut. Wut lag in ihrer Stimme. Vorwurf und Wut, meistens waren es die beiden Färbungen, die ihr Tonfall annahm, wenn ihr Herzchenmund mal wieder Gehässigkeiten ausspie. Wie ein Drache, nur nicht ganz so liebenswürdig.
Er zuckte die Schultern, konnte sehen, dass sie das noch mehr in Rage brachte.
"Ich dachte, ich liebe dich...", griff er ihre Streiteingangsfrage auf. Immerhin konnte sie ihm nicht vorwerfen, er höre nicht zu.
"Was?!" Farblos war ihre Stimme plötzlich. Wie eine graue Ziegelsteinwald, von der man die Graffitis abgewaschen hatte.
Schlagartig wurden ihre Augen, in denen er schon vorher verdächtigen Schimmer festgestellt hatte, nass. Aus dem Saphirgrün perlten Tränen, hinterließen regentropfengleich Spuren auf ihrem Shirt.
"Ich dachte das mit uns wäre etwas Besonderes, etwas, das nur wir haben..." Hilflos nestelte sie an einem Fingernagel herum, riss ihn ab, während ihre Worte ertranken.
Er konnte es nicht leiden, wenn sie das tat. Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete er eine Sekunde den Nagelrest, der sich in der Shirtfalte auf ihrem Bauch fing.
"Das war allein deine....Interpretation. Ich habe das so nie gesagt!" Cool und beherrscht lehnte er sich auf dem Sofa zurück.
"Es geht nicht darum, was du gesagt hast, sondern wie es rüberkam und  wie es sich angefühlt hat!" Sie weinte, als sie mit krausen Gedankengängen um sich warf. Der Damm war endgültig gebrochen, die Schleuse stand sperrangelweit offen.

Irgendwie hatte er Hunger. Vielleicht konnte er später noch mit Chris einen Döner essen gehen. Oder zu Bastian ein Bier trinken.
Ihr Schluchzen riss ihn aus seiner Abendplanung, richtig, hier gab es noch eine Schlacht zu schlagen. Das letzte Gefecht, sozusagen.
Sein Fremdgehen war mit einem Mal nicht mehr Vorwurf Nummer 1, dachte er in einem Anflug von Zynismus.
"Du hast mich nie geliebt Wirklich nie?" Rotz lief ihr aus der Nase, wanderte Richtung Herzchenmund. Er brauchte eine Sekunde, sich von dem Anblick zu lösen, ein Ekelschauer überlief ihn.
"Ich hab's versucht, ich hab's mir eingeredet", sein Blick ging nach unten, vielleicht war er ihr schuldig, so zu tun, als würde er die Tatsache, sie nicht lieben zu können, ehrlich bedauern. "Es hat nicht geklappt!" Ob seine Stimme sich so kalt anhörte, wie die Worte eisig aus ihm hervorsprudelten?

"Du hast es VERSUCHT?" Ihre Worte überschlugen sich, Tränenbläschen spritzten wie Meeresgischt  durch die Spannung der Luft.
"Bin ich so ein Ekel, dass man hartnäckig versuchen muss, mich zu lieben?" Die Mascara lief ihr in Strömen übers Gesicht, irgendwie hatte sie was von einem schwarzweißen Clown. Nein, berichtigte er sich. Clowns waren lustig. Oder zumindest gruselig. Sie war gerade einfach jämmerlich.

Er schüttelte den Kopf, wollte ihren Blick mit seinem festhalten.
"Hey..." Sollte er ihren Arm streicheln? Er machte Anstalten dazu, doch sie drehte sich entschlossen weg. Funken sprühten nun aus dem Spahirgrün ihrer Augen.
"Fass mich nicht an!", zischte sie. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sich ihr Nackenhaar aufgestellt hätte wie bei einer wütenden Katze.
"Ich bin fertig mit dir! Ich will dich nie wieder sehen!" Die Worte schossen ihm entgegen, schleuderten in Saltos um seine Ohren und schenkten ihm ein Gefühl von Freiheit. Freiheit, endlich wieder.
Langsam nickte er. "Okay."
"Mehr hast du nicht zu sagen? Nur "okay"?" Verachtung.
"Nein. Nur okay."
Er stand auf, sah sich nochmal in ihrem Wohnzimmer um, schnappte sich seine Autoschlüssel und das Smartphone. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Wohnung, zog die Tür hinter sich ins Schloss und freute sich über das Geräusch, mit dem sie ihn verabschiedete.
"Ich dachte du liebst mich!", hörte er sie auf der Straße weinen.

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