Dienstag, 21. Juni 2016

Die Kellnerin

"Ich nehme meinen Kaffe schwarz, danke!" Die Kellnerin nickt flüchtig, kritzelt etwas unleserlich auf ihren Notizblock. "Möchten Sie ein Stück Kuchen oder einen Muffin dazu?" Ihre Stimme ist nuschelig-verwaschen, als hätte sie die letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Ich schüttele nur den Kopf, sie eilt langsam zur Theke zurück und nimmt einen Schluck Wasser. Die Augen eine Mischung aus halboffen und -geschlossen, ich kann mich nicht entscheiden, welchen Ausdruck sie im Blick trägt. Gelangweilt? Desinteressiert? Übermüdet? Besorgt vielleicht?
Um die Mundwinkel herum scheint sie nahezu versteinert zu sein, nicht das sachteste Lächeln umschmeichelt ihre Lippen. Dabei würde ihr ein Lächeln, sei es noch so zaghaft, so gut stehen, geht mir durch den Kopf. Ich beobachte ihre Bewegungen, wie sie hinter dem Tresen meinen Kaffee zubereitet. Sie streckt sich, um an die Tasse zu kommen, dabei verrutscht ihre Schürze ein wenig und gibt ein Stück Jeans frei. Seufzend stellt sie Tasse samt Untertellerchen auf die Arbeitsfläche, wischt mit einem Geschirrtuch einmal durch. Beinahe kritisch wirkt der Blick, den sie dem Kaffeevollautomaten zuwirft, Wasserstand und Kaffeebohnenfüllmenge scheinen in Ordnung zu sein.  Sie platziert die Tasse unter dem Kaffeehahn und drückt auf einen der Silberknöpfe, blank und altmodisch. Ein Rattern, Knarren und Mahlen folgt, ich sehe, wie Kaffeebohnen in einem Ministrudel ins Innere der Maschine gezogen werden. Ihr Ächzen verrät mir, wie es mit ihnen zu Ende geht, ihr frisches Blut strömt heiß und dampfend in die weiße Tasse. Fein weht der Duft frischgemahlenen Kaffees zu mir an den Tisch, eine gewisse Vorfreude erfüllt mich.
Die Kellnerin wischt ihre Hände an der Schürze ab, kleine Wasserperlen spritzen ins Nirgendwo. Wahrscheinlich hat sie sich gerade die Finger gewaschen, für einen Augenblick war meine Aufmerksamkeit abgeschweift.
Das Brummen des kaffeespuckenden Automaten verklingt, ein letztes Klack und die Maschine hat ihre Arbeit vollendet.
Vorsichtig, um sich nicht zu verbrennen, greift die Kellnerin, ich schätze sie auf Anfang zwanzig, nach der Tasse und setzt sie behutsam auf dem Unterteller ab. Ihre Hand zuckt in Richtung der Besteckschublade, verharrt einen Moment darüber, um schließlich nach den Plätzchen zu greifen. Sie bewegt stumm die Lippen, vermutlich wiederholt sie gerade, dass ich meinen Kaffee schwarz trinken möchte.
Während sie mit Tasse und Plätzchen unterwegs zu meinem Tisch ist, wenige Schritte, hebe ich den Blick und schaue sie an. Eine Sekunde erwidert sie meinen Kontaktversuch, dann lächelt sie. Stellt den Kaffee etwas umständlich auf der Tischplatte ab. "Danke!" Ihre Hand streift nur Millimeter an meinem Arm vorbei, ich kann die Wärme spüren, die sie ausstrahlt. "Sie sollten öfter lächeln, das steht Ihnen ganz hervorragend!" Ihr Lächeln über das Kompliment vermischt sich mit dem Kaffeeduft und gibt dem Nachmittag ein ganz besonderes Aroma.

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