Donnerstag, 30. Juni 2016

Versetzt?

Auf dem Tisch ein Schälchen mit Sommerblumen, violett und blau. Zusammen mit dem Grün der Blätter eine frische und seltsam friedliche Kombination.
Sie sieht auf die Uhr. 19Uhr.
Ungelenk schiebt sie die Armbanduhr den Knöchel erst hinauf, dann wieder dorthin, wo sie zuvor war, ein roter Streifen bleibt.
Ein Kellner tritt an ihren Tisch.
"Darf ich Ihnen schon etwas bringen?" 
Sie lächelt und betrachtet die schwarze Schürze, die sorgfältig um seine Hüfte gebunden ist. Einer dieser Bestell-Computer, neumodisch und irgendwie schick, steckt in der Schürzentasche, sie hat weder Namen noch Begriff dafür. 
"Ich nehme zuerst ein Wasser", nickt sie, "ich erwarte noch jemanden." 
"Sehr gerne!" 
Sie blickt wieder auf die Uhr, 19:13Uhr. 
Hatten sie sieben oder halb acht gesagt? Die Stirn in Falten gelegt zückt sie ihr iPhone, tippt kurz darauf herum und wühlt sich durch ihren Posteingang. 

"Lass uns 19Uhr sagen, dann haben wir länger was vom Abend!" 

Vielleicht steckt er im Stau. Ganz bestimmt steckt er im Stau, und das Handy hat er wahrscheinlich in  der Tasche. Dann kann er ja gar nicht drankommen, um Bescheid zu sagen, dass es ein paar Minuten später wird.
"Ihr Wasser!", der Kellner stellt das Glas, in dem oben auf eine Zitrone schwimmt, vorsichtig auf dem Tisch ab. "Soll ich Ihnen schon mal die Karte..." "Danke, nein, ich warte."

19:20Uhr. Sie sieht sich um. Menschen, in Unterhaltungen vertieft, lagern auf den Stühlen in und vor der Bar. Einige spielen mit den Blumen in den viereckigen Schalen, andere knüllen Servietten zwischen den Fingern. Münder verziehen sich zum Lachen, Wortfetzen und Gesprächsknäuel dringen an ihre Ohren, ohne gehört zu werden.

"Dann haben wir länger was vom Abend!" Sie wiederholt die Worte in Gedanken, irgendwie haben sie einen gewissen Beigeschmack. 

Dieser dämliche Stau...schimpft sie innerlich vor sich hin, bis ihr einfällt, dass es diesen Stau vielleicht gar nicht gibt. 
Vielleicht hatte er einen Unfall, möglicherweise liegt er in diesem Moment in einem Rettungswagen, blutend, verletzt, und sie hat nichts Besseres zu tun, als langsam aber sicher sauer zu werden.
19:24Uhr.
Ein Schluck Wasser säuselt ihr die Kehle hinab, gegen die Trockenheit ihrer Lippen hilft es, die Bitterkeit bleibt.

Sie fährt sich mit den Fingern durch das Haar, das sie extra im Vormittag frisch nachblondiert hat. Es duftet noch nach der Pflegespülung der Blondierung, chemisch-süß nach Mango. 

19:26Uhr.

Er wird nicht kommen. Nicht heute Abend, nicht irgendwann.

Sie atmet tief ein, stößt die Luft langsam wieder aus. 
"Dann haben wir länger was vom Abend."

Das iPhone vibriert in der Tasche, die sie neben sich auf den leeren Stuhl gestellt hat. Ohne wirklich nachsehen zu wollen, beinahe widerwillig, zieht sie das Telefonwunder mit dem Apfel auf der Rückseite heraus.

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